Der Tod ist ein Meister der Rechtspopulisten

oder wie die faschistische Lega Nord das Massengrab Mittelmeer vergrößert

Rechtspopulismus tötet. Punkt. Wer mutwillig das Überqueren des Mittelmeers immer gefährlicher macht, macht sich indirekt mitschuldig am Massensterben im Mittelmeer. Wer Menschen nicht rettet, obwohl er/sie es könnten, bewegt sich rechtlich auf der geraden Linie an deren Ende Mord als grausamstes Verbrechen steht. Wer Menschen in Lebensgefahr nicht rettet, sondern zuvor sogar ankündigt diese Rettung aus ideologischen Gründen mit aller rechtsstaatlich möglichen Gewaltanwendung vorsätzlich zu verhindern, macht was? Wie ist eine solche Politik des Todes politisch einzuordnen? Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Faschismus?

Der Innenminister des Staates des Staats Italien macht die beschriebene Vorgangsmaßnahme der politisch beabsichtigten Menschenopfer zum Kern seiner Politik und zur staatlichen Doktrin.

Der Innenminister des Staates Italien untersagte nicht nur, wie das Mailänder Institut für Internationale Politische Studien schreibt, Such- und Hilfsaktionen humanitärer Organisationen, sondern allen Schiffen im zentralmediterranem Raum jede Rettungsaktion. Betroffen davon sind nicht nur nach internationalem Recht dazu verpflichtete Handelsschiffe, sondern auch Boote der Frontex und selbst der italienischen Küstenwache.

Das Institut für Internationale Politische Studien (Istituto per gli Studi di Politica Internazionale), einer der weltweit bedeutsamsten Think Tanks, kann mit dieser Arbeit nachweisen, welche Opfer der sogenannte Rechtspopulismus fordert und nennt das Opportunitätskosten (mehr dazu unten).

ISPI hat dazu Daten des UNHCR und der IOM ausgewertet und die Zahlen belegen die konkreten Auswirkungen dieser rechtsextremen Politik (wenngleich ISPI die Bezeichnung rechtsextrem vermeidet und von Salvini-Politiken spricht).
Erhoben wurde die Zahl der toten und geflüchteten Personen bzw. die Zahl der verschwundenen Personen im Zeitraum Juli 2016 bis September 2018. Zur besseren Anschaulichkeit hat ISPI diesen Zeitraum in drei Perioden unterteilt. Vom Juli 2017, als Anfang der kontinuierlichen Abnahme der Bootsflüchtlinge, die als Ära Minniti bezeichnet wird (Juli 2017 bis Mai 2018). Von Minniti zwölf Monate zurück bis Juli 2016, einem Höhepunkt der Zahl der Anlandungen. Bzw. von Juni 2018 bis September 2018 als der Zeit der ersten vier Monate des Lega Nord-Regimes nach vor.

Die unten stehende Grafik nach den Zahlen von ISPI zeigt nun, dass in der Ära Salvini die Zahl der toten und vermissten geflüchteten Personen binnen vier Monaten um das 2 1/2-fache anstieg! Die Zahl der angelandeten Personen sank entsprechend dem fünfzehnmonatigem Trend und trotz der neuerlichen Kampfhandlungen in Libyen weiter.

Anlandungen, tote oder vermisste Refugees in der Zeit von Juli 2016 bis September 2018 in Italien
Anlandungen, tote oder vermisste Refugees in der Zeit von Juli 2016 bis September 2018 in Italien

Think Tank-Zynismus

Die zweite ISPI-Grafik wendete zur weiteren Evaluierung betriebswirtschaftliche Methoden an und erhob so genannte Opportunitätskosten. Die Toten und vermeidbaren Toten werden so zu Kosten des politischen Kapitals. Der Begriff Opportunitätskosten bezeichnet, welche Kosten zu erwarten sind, wenn jemensch sich nicht für die vorgeblich lukrativste Alternative entscheidet. Im konkreten Fall wird also das forcierte Sterben im Mittelmeer zu einer politischen Abwägung wie viele Menschen sterben sollen, weil die politische Relevanz des Ereignisses sehr gering ist – „ma la rilevanza politica dell’evento sarebbe molto bassa„. Im Zusammenhang bedeutet das, dass die Pro-Aktiv-Sterben-lassen-Politik der Lega, nur mehr dann an die relativ niedrige, aber immer noch inakzeptabel hohe, Zahl an Toten wie unter Minniti herankommen kann, wenn in den nächsten sechs Monaten keine Person mehr stirbt.
Aus dem politikwissenschaftlichen Kontext frei übersetzt: Die Regierung des Staates Italien sollte ihr politisches Kapital besser einsetzen. Diese Schlussfolgerung von ISPI kommt nicht sehr überraschend. Im Prinzip akzeptiert das Institut die „Abschreckungspolitiken“ des Staates Italien. Überraschender ist vielmehr, warum der Autor der Evaluierung so hartnäckig den rassistischen, rechtsextremen Charakter der Lega „übersieht“. Was mich schon bei dem letzten Post über Domenico Lucano erstaunte, ist die Ignoranz und Verharmlosung mit der diese so genannten Rechtspopulisten betrachtet, analysiert, beurteilt werden.
Hört denen eigentlich niemand zu?

Die ISPI-Grafik (s.u.) zeigt, dass während der Ära Minniti die Zahl der Anlandungen um 78 % zurück ging und gleichläufig auch die Zahl der Toten und Vermissten (-72%). Sie zeigt aber auch, dass seit dem Verbot von Seenotrettungen durch die rechtsextreme Lega Nord, die Zahl der Anlandungen um 48 % abnahm und gleichzeitig die Zahl der Toten und Vermissten um 147 % stieg.

Die "Opportunitätskosten" Rechtspopulisten. Seit ihrer Machtübernahme ist die Zahl der toten und vermissten um 147 Prozent gestiegen. Quelle: ISPI
Die „Opportunitätskosten“ Rechtspopulisten. Seit ihrer Machtübernahme ist die Zahl der toten und vermissten um 147 Prozent gestiegen. Quelle: ISPI

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ein Rückgang der Anlandungen bedeutet, dass sich 48 Prozent weniger Menschen aus der Sklaverei in Libyen befreien und nach Europa gelangen konnten. Diese Zahl ist ebenso alarmierend, wie der dramatische Anstieg der Todesopfer.

Rechtspopulismus handelt gewalttätig nicht, übt unter Sanktionsdrohung staatlichen Zwang auf andere aus, ebenfalls Hilfeleistungen zu unterlassen und bringt Menschen durch diese vorsätzlich gesetzten Maßnahmen wahrscheinlicher zu Tode als weniger rechtspopulistische Politiken, wie an Hand des Vergleichs der Ergebniszahlen unterschiedlicher Politiken dargestellt werden konnte.

Weniger vorsichtig und mehr populistisch formuliert: Rechtspopulismus tötet. Das Sterben im Mittelmeer wird nicht nur toleriert und sondern bewusst herbei geführt.

Kein Wort des Bedauerns, der Anteilnahme. Im Gegenteil.

Die kapitalistische Zivilisation Europas strebt in ihrer Brutalität – wieder einmal – gegen ein tödliches Ende.

Links:
Der vollständige Artikel ist auf der Seite der ISPI abrufbar.

„Während sich die Stimmung in Europa zunehmend gegen Migranten wendet und sich immer mehr Länder abschotten, werden auch die Mittel knapp, um Programme zur Erfassung der Menschen zu finanzieren. Ein Beispiel: Als im April 2015 vor der italienischen Küste beim bislang schlimmsten Unglück mit Migranten im Mittelmeer mehr als 800 Menschen ihr Leben verloren, versprachen die Behörden in Italien, die Opfer zu identifizieren und ihre Familien zu finden. Gut drei Jahre später hat die neue populistische Regierung die Finanzierung für die Arbeit gestoppt.“
Quelle: https://taz.de/Verschwundene-Gefluechtete-weltweit/!5547746/

Anmerkungen:
Der Staat Italien verfolgt in der Region die früher West-Europa politisch zugeordnet wurde, nicht erst seit der rechtsextremen Machtübernahme im Juni eine Politik des proaktiven Sterbenlassens. Die Situation wurde aber dramatisch zugespitzt.
Dazu zwei Grafiken, die auf Datenbasis des UNHCR erstellt wurden.

Die eine Grafiken vergleicht die Zahl der Anlandungen in der westlichen (Staat Spanien), der zentralen (Staat Italien) und der östlichen (Staat Griechenland) Mittelmeer-Region.

Ländervergleich Spanien, Italien, Griechenland, Januar bis Juli 2018, Anlandungen bzw. tote und vermisste Refugees. Daten: UNHCR
Ländervergleich Spanien, Italien, Griechenland, Januar bis Juli 2018, Anlandungen bzw. tote und vermisste Refugees. Daten: UNHCR

Die zweite Grafik vergleicht den gleichen Zeitraum 2017 und 2018. Sie zeigt, dass die Zahl der Anlandungen 2018 bloß 20 Prozent des Vorjahres beträgt. 2.300 toten und vermissten geflüchteten Personen im Jahr 2017 stehen trotz des Rückgangs der Anlandungen um 80 Prozent (= minus 77.000), 1.100 Tote im Jahr 2018 gegenüber. Nach aktuellen Zahlen des ISPI für September 2018 kamen 19 Prozent bei ihrer versuchten Flucht ums Leben.

Die Flucht übers Meer nach Italien wurde seit der rechtsextremen Regierung in Rom weit gefährlicher. Daten: UNHCR
Die Flucht übers Meer nach Italien wurde seit der rechtsextremen Regierung in Rom weit gefährlicher. Daten: UNHCR
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