Va Banque – Nehmt ihnen das Geld weg!

Museum of Revolution, Wien (Installation)
Museum of Revolution, Wien (Installation 2011)

Nehmt ihnen das Geld weg, schlagzeilt die Schweizer woz in Ausgabe Nr. 17. „Nehmt den Reichen das Geld weg. Nehmt ihnen das Geld weg, weil es ihnen nicht gehört. Es gehört allen.“, präzisiert Autor Kaspar Surber in seinem Artikel.

Tatsächlich erfolgt der größte Raubzug der Geschichte in der entgegen gesetzten Richtung: Umverteilung von der Masse hin zu einigen Superreichen und ihren gesellschaftsfeindlichen Finanzkonstruktionen, die mittlerweile sogar die europäische Köhäsion fundamental in Frage stellt.


In der Geschichte finden sich auch andere Geschichten. Zum Beispiel die vom einfachen Maurer Lucio Urtubia.

Lucio Urtubia ist wahrscheinlich kein bescheidener Mensch. Und davon zeugt schon seine Feststellung „Mein Leben besteht aus vielen Leben“. Wie viele Menschen würden dies von ihrem Leben schon behaupten? Und wer würde allen Ernstes behaupten, dass es ein Glück sei, „arm geboren“ worden zu sein?

Urtubias Versuch Che Guevara zu überzeugen, mit gefälschten Dollarnoten die Vereinigten Staaten zu ruinieren, liefert nicht nur den Beweis für seine grenzenlose Unbescheidenheit, sondern auch den für die Bescheidenheit der kubanischen Revolutionär_innen: „Mit dem Plan könnten wir den USA keinen Schaden zufügen, denn der Dollar sei die Leitwährung.“

Lucio war möglicherweise über diese Zurückweisung gekränkt. Jedenfalls erzählt er, dass er sich bei der Besprechung mit Guevara nicht wohl gefühlt hat. „Man sagt, dass Argentinier eben so sind.“

Wie Eintrittskarten für Fußballspiele

Lucio Urtubia schmiedete einen anderen Plan, selbstverständlich im Dienste der Revolution und bereits deshalb jenseits bürgerlicher Legalitätsvorstellungen.

Hundertfünfzig Kilogramm gefälschte Travellerschecks waren es zu Beginn. Lautend auf die First National City Bank (heute Citibank). „Sich mit derart beschränkten Kapazitäten wie den unseren einem solchen Riesen entgegenzustellen, war wie der Versuch, die Geschichte von David gegen Goliath zu wiederholen“, schreibt Urtubia. Entwaffnend unbescheiden setzt er nach „Aber so waren wir.“

„Das System war vom Feinsten“

Ganze Scheckhefte oder einzelne Schecks wurden ab dem Jahr 1977 in den Filialen der First National City Bank zur Auszahlung vorgelegt. Alles schien in Ordnung. Die Beträge wurden anstandslos ausbezahlt. „Ohne jegliche Gewalt hatten wir eine Finanzierungsquelle für alle revolutionären Gruppen und Bewegungen der Welt aufgetan. Wir waren in ganz Europa und Südamerika aktiv“, schreibt Lucio Urtubia. „Sein Meisterwerk“, benennt es die deutsche Ausgabe der Webenzyklopädie wikipedia.

Und das über Jahre hinweg.

Bis die bankinterne Anweisung erfolgte, dass nicht mehr alle Beträge ausbezahlt werden dürfen. Die Grenze ausgezahlter gefälschter Schecks sei überschritten. Urtubia und Co-BanditInnen legten immerhin gefälschte Reiseschecks in der Höhe von 20 Millionen Dollar als eine Art Akt des finanziellen Widerstands auf. Mehr als drei- oder vierhundert Dollars wurden nie behoben. Die Aufteilung der Beute erfolgte zwischen den Durchführenden, der notwendigen Infrastruktur und das restliche Drittel für die internationale Solidarität.

Beschädigtes Image

Die Auszahlungsgrenze wurde daher für alle First National-KundInnen auf einen Betrag von 50 bis 100 Dollar festgelegt. Wütende Proteste waren die Folge. Und niemand kaufte mehr Travellerschecks der First National.

Der Schaden für die First National Citybank wuchs täglich und wurde letztlich enorm. Ihr Kurs an der Börse krachte. Tatsächlich dürften sehr viele Millionen an gefälschten Schecks weltweit eingelöst worden sein.

Als die Warnung alle Filialen erreichte, hatte Urtubia gerade wieder 140 Kilogramm seiner falschen Schecks fertiggestellt.

Was tun?

Lucio Urtubia tat, was er nicht hätte tun dürfen. Kaufinteressen an seinen, inzwischen ziemlich auffälligen Produkten gäbe es für ein Drittel des aufgedruckten Nominalwerts. Urtubia stieg nach einigem Zögern darauf ein. In seinen Erinnerungen „Baustelle Revolution“ schreibt er, dass klar war, dass ihm die Polizei im Nacken saß. „Sofort fiel ein Haufen Polizisten mit Waffen und Handschellen über uns her“, schildert Lucio den gescheiterten Handel mit seinen unrechtmäßigen Produkte.

Am Ende dieses einen Lebens saß Lucio Urtubia für sechs Monate im Gefängnis. Nach Verhandlungen mit der Bank wurden seine perfekten Druckplatten übergeben.
Urtubia ging in seinen folgenden Leben unbeirrt weiter seinen Weg, den des anarchistischen Expropriateurs.

Heute lebt der im Feber 80 Jahre alt gewordene als Maurer in Paris. In seinem Leben habe er viel Glück gehabt, beispielsweise, dass bei seinen „Enteignungen“ genannten Überfällen, keine Mensch zu Schaden kam. Möglicherweise würde er heute anders handeln, wenn Lucio schreibt: „Wir sollten die Reichtümer der Mächtigen weiter schlafen lassen und mit dem arbeiten, was unser Reichtum ist: mit Worten, Wissen, Bildung, Kultur und dem Wunsch, alles zu teilen.“

„Nichts gehört mir allein, alles gehört uns allen“, schreibt nicht die woz, sondern Lucio Urtubia in seinen Memoiren.

Tipps:

Lucio Urtubia, Baustelle Revolution, Verlag Assoziation A (alle Zitate)
woz Die Wochenzeitung im Web unter www.woz.ch


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