Zeit für Entstaatlichung

revolution cuvée
revolution cuvée

In Erwägung, dass der verbliebene Staatsbesitz veräußert werden soll, um
die Staatsschulden, die durch das Finanzcasino stark anwuchsen, zu
reduzieren, ist eine rasche Entstaatlichung das Gebot der Stunde.

Die Rufe tönen lauter und sie erschallen immer schneller. Jede Stunde 1 Million an Zinsrückzahlungen! Der Staat ist ein schlechter Unternehmer! Der Koalitionspartner SPÖ wehrt sich dagegen. Wichtiger Motor der Wirtschaft. Es gibt nichts mehr zu verkaufen.

Aber eine Regierungsbeteiligung der SPÖ gilt nach den nächsten Wahlen überhaupt nicht als gesichert. Die chronische Umfallsucht der modernen europäischen Sozialdemokrat_innen zwingt zu einer vorsichtigen Beurteilung und kritischen Beobachtung. Erst dieser Tage wurden Berichte veröffentlicht, die Großbritannien eine soziale Ungleichheit wie im viktorianischen Zeitalter feststellt. Eingeleitet wurde diese Entwicklung von der sozialdemokratischen Regierung unter Tony Blair, dessen 3. Weg auch in den deutschsprachigen Sozialdemokratien einige Zustimmung fand.

Die Sozialdemokratie, die sich immer als internationale Bewegung verstand, kann sich sicher an den Schweizer Generalstreik erinnern, der das sozialpolitische Programm der heutigen Schweiz formulierte. Zwei Punkte, die noch der Umsetzung bedürfen: Staatsmonopole für Import und Export und Tilgung der Staatsschulden durch die Besitzenden.

Die Wiener Börse dümpelt so vor sich hin. Das Café im Souterrain erwirtschaftet eine höhere Tageslosung, könnte bei einem Lokalaugenschein vermutet werden. Die Wiener Börse dümpelt aus Tradition. Noch in 1990er-Jahren passten die gehandelten Titel auf einen Notizblock für die Sakkotasche. Danach wurden die neuen Held_innen der Arbeiter_innenbewegung aus dem Sack gezaubert und mit ihnen ein Häschen, das aussah wie eine Mitarbeitervorsorgekassa. Die Wiener Börse erwachte aus seinem schläfrigen Dasein, der Finanzplatz Wien war geboren, erzählten sie nun in Krumpendorf.

Jetzt nach der Krise (Krise? Welche Krise?) bräuchte die Börse wieder was zum Aufpäppeln. Gut fürs Land, für den Fortschritt und die Arbeitsplätze verspricht die Wiener Börse, als ob sie bei den kommenden Wahlen antreten wolle. Privatisierung von Staatsbesitz sei etwas Wunderbares: „Maschinen und Grundstücke verbleiben im Land, neues Kapital kommt herein und neue Arbeitsplätze werden geschaffen, wodurch die Produktivität des Unternehmens steigt und damit zum Wachstum der Volkswirtschaft beiträgt.“, verspricht das Börse-Fact-Sheet.
Das hören nun alle Staatsbürgerinnen und -bürger gern, dass die Grundstücke im Land nach einer Privatisierung im Land verbleiben werden. Dann hört der Glaube an die Partei des Aktienhandels aber auf. Neues Kapital, neue Arbeitsplätze verspricht auch nicht mehr Kapital und mehr Arbeitsplätze. Und dass der alte Krempel aus Hainburg nicht in die neue Tabakfabrik an den Rand der eurasischen Steppe verfrachtet wird, mag nur den alteingesessenen Schrotthändler wirklich erfreuen.

Die Erfolgsstory der Privatisierung an der Wiener Börse sollte genau angesehen werden. 1988 Austrian Airlines AG (heute Lufthansa; Staatszuschuss zum Verkauf: 500 Millionen), der Komplex der verstaatlichten Industrie (VAE, Böhler, VA, voestalpine), damals 125.000 Arbeiter_innen, die ein Viertel der gesamten Exporterlöse erarbeiteten und 1997 die Austria Tabak AG unter einem SPÖ-Finanzminister. Für 59 Prozent Staatsanteil wurden 512 Millionen Schilling erlöst, die der Sanierung der Staatsfinanzen zugeführt wurden. 1999 erzielte die Austria Tabak einen Gewinn von 1,3 Milliarden Schilling. Pi mal Daumen wurden 59 % der Austria Tabak AG um einen Preis verscherbelt, der 1 Jahresgewinn entspricht. (Quelle: www.boerse-express.com/pages/105138) 2001 wurden schließlich die restlichen 41 Prozent um 700 Millionen Euro verkauft, bei einem Gewinn von 70 Millionen Euro. (Quelle: Falter 19/11) Bis zur Schließung 2011 wurde der Beschäftigtenstand von 3.700 Beschäftigten auf wenige Hundert reduziert.

Privatisierungen bringen Glück und Wohlstand

Zum Beispiel im Glücksspiel. „Es gibt weder ein ethisches noch wirtschaftliches Argument für die Privatisierung des Glücksspiels“, schreibt Armin Thurnherr im Falter (19/11) und weiter „Die Durchsetzung des privaten Glücksspiels bietet ein tristes Exempel für die staatliche Fehlentwicklung insgesamt.“

Zum Beispiel in der Energieversorgung. Die Landesenergieversorger mit den höchsten Beteiligungen privater Unternehmen liefern auch den meisten Atomstrom in Betriebe und Haushalte. 20,1 Prozent Atomstrom liefert die Kärntner Stromgesellschaft Kelag (Privatisierungspotenzial 1,1 Milliarden Euro) an der der deutsche Atomkonzern RWE mit 31 Prozent beteiligt ist. Oder das steirische Pendant Energie Steiermark (Privatisierungspotenzial 1,6 Milliarden Euro). An ihr hält neben dem Land Steiermark der französische Atomkonzern edf 25 Prozent plus eine Aktie. Gemeinsam bewegen sie 28 Prozent Atomstrom im steirischen Netz. Im Vergleich dazu liefern die 100-prozentigen Landesstromgesellschaften des Burgenlands oder Niederösterreichs keinen Atomstrom an ihre Kund_innen. (Quelle: Greenpeace)
Oder zum Beispiel beim Wandern: Über Wegesperren wurde auf uebersmeer.org schon berichtet. Stehen die österreichischen Staatsforste zur Privatisierungsdisposition, dann darf die bestens vernetzte Jagdlobby als Treiber vermutet werden. Noch mehr Sperrgebiete, noch öfter heißt es vor versperrten Toren an Wanderwegen stopp. Die Zugänglichkeit zu den großen österreichischen Seen wird eingeschränkt, der Zutritt verboten und verunmöglicht. Wer probieren will, wie sich das anfühlt, der oder dem sei ein Badeurlaub in der Schweiz oder in Deutschland ans Herz gelegt.
Dazu kommen der Ausverkauf der Quellgebiete und der Verlust kostbarer Trinkwasserreserven.

Dass der Staat ein schlechter Unternehmer ist, liegt daran, dass der Einfluss der Politik zu groß sei. Das sagt nicht irgendwer, sondern gerne am rechten Rand angesiedelte Politiker_innen, deren Freundeskreis oft auch die Kaufinteressen repräsentiert.

Tatsächlich ist der Staat kein Garant, dass sich ein Staatsbetrieb in seiner unternehmerischen Tätigkeit am Gemeinwohl orientiert. Dafür aber sind Politiker_innen gewählt worden, dass diese Zielsetzung kontrolliert und eingehalten wird. Eine Schule soll Bildung vermitteln und keine Gewinne erwirtschaften, eine Transportgesellschaft angenehmen und pünktlichen Service bieten, ein Spital Kranke gesund machen, auch in abgelegenen und benachteiligten Regionen. Keine öffentliche Einrichtung soll Mieten zur Bereicherung eines spekulativen Immobilienfonds zahlen. Ein staatliches Unternehmen soll fair zu seinen Angestellten sein, die volle betriebliche Mitbestimmung sicherstellen und die eigenen Leitlinien bei der Beschaffung und im Einkauf berücksichtigen. Nicht viel mehr wird verlangt.

Wenn Volksvertreter_innen dazu nicht im Stande sind, müssen Staatsbetriebe ihrem Einfluss entzogen werden, bevor sie noch größeren Schaden anrichten. Wenn der Schuldenstand eines Landes zum Problem wird, müssen die Besitzenden zur Tilgung herangezogen werden und nicht die Allgemeinheit, die keine Ausweichmöglichkeiten hat.

Verstehen heißt handeln lernen

Wir sollten Naomi Kleins Buch über den Katastrophen-Kapitalismus, Die Schock-Strategie, lesen, um die von IWF und EU verordneten Privatisierungen in Portugal und Griechenland besser zu verstehen. Oder warum in Irland der Mindestlohn gesenkt werden musste.

Und wir sollten Kaspar Surbers Empfehlung in der woz aufgreifen: „Linke Politik muss sich dagegen wieder als Handlung verstehen.“ (Quelle: woz 17/2011)

Eine Entstaatlichung tut Not, erkannte bereits Otto Bauer, der Ideologe des Roten Wien:
“ ‚(…)niemand verwaltet Industriebetriebe schlechter als der Staat„. Bauer erklärt dann jedoch weiter: „deshalb haben wir Sozialdemokraten nie die Verstaatlichung, immer nur die Vergesellschaftung der Industrie gefordert„. Bauer fordert, dass die Verwaltung nicht von den Kapitalisten durchgeführt werden solle, sondern: „Ein Drittel der Mitglieder des Verwaltungsrates wird von den Gewerkschaften der Arbeiter sowie auch von den Organisationen der Angestellten, die in dem Industriezweig beschäftigt sind, bestimmt. Ein zweites Drittel der Mitglieder des Verwaltungsrates bilden die Vertreter der Konsumenten.(…) Das dritte Drittel der Verwaltungsratsmitglieder endlich bilden die Vertreter des Staates.‚ “ (Quelle: Heinz Fischer, NR-Präsident und stv. SPÖ-Vorsitzende, 9. September 2003)

Also dann Herr Bundespräsident: Vorwärts und nicht vergessen!

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