Chemin Walter Benjamin, der F-Weg

ruta walter benjamin
„Der Klassenkampf, der einem Historiker, der an Marx geschult ist, immer vor Augen steht, ist ein Kampf um die rohen und materiellen Dinge, ohne die es keine feinen und spirituellen gibt.“

„Olivenbäume sollten unsere Grenzen sein“, schrieb 1976 Dani Karavan, Planer des Passagen-Denkmals in Portbou. Und gerne wollte man hinzufügen: Unsere Möglichkeiten sollten unsere Grenzen sein.

Die Grenze zwischen Spanien und Frankreich wird nicht mit Olivenbäumen in die Landschaft geschrieben. Dafür ist das Klima zu unwirtlich. Oben am Coll de Rumpissa, auf etwa 500 Metern über Meer, fühlt man sich mehr in alpine Höhenlagen unterhalb der Baumgrenze versetzt. Der Wind wälzt sich in mitunter heftigen Böen von den schneeweißen Gipfeln der Pyrenäeen weit übers Meer, die Wege sind hier oben felsig und hinter jeder mehr als nur schmächtigen Korkeiche lauert ein wilder Stier.

Leser_innen-Update [Herbst 2016 und September 2019] der Wegbeschreibung am Ende des Artikels.

Statt Stieren, vor denen Lisa Fittko Benjamin warnte, treiben nun, den Spuren nach zu urteilen, wilde Wildschweine auf der Nahrungssuche ihr Unwesen. Die Wegbeschaffenheit war damals, als sich Walter Benjamin auf seinen beschwerlichen Gang in die vermeintliche Sicherheit begab, wahrscheinlich kaum eine andere als heute.

Blick auf Banyuls-sur-mer
Blick auf Puig del Mas und Banyuls-sur-mer

Vom Rathaus in Banyuls-sur-mer führt der Weg aus dem Ort entlang dem Flüsschen Baillaury. Kurz nach der Bahnunterführung nimmt man den Weg über die kleine Brücke und spaziert nach Puig del Mas, das Lisa Fittko als das ursprüngliche Banyuls-sur-mer bezeichnete. Hier windet sich die Straße nach rechts, wir nehmen die obere Straße. Links folgt ein Parkplatz, den wir überqueren. Danach geht es zwischen Träumen vom Eigenheim halbwegs gerade wieder abwärts Richtung Weinberge.

Rebstockveredelung
Rebstockveredelung im Weingarten

Wenn am Ende des Dorfes die Straße stark nach rechts möchte, zum alten Dorfkern von Puig el Mas, vor uns liegen die Weinberge, links endet die Häuserzeile, nehmen wir beim letzten Zaun den Pfad steil nach unten (Wegweiser beachten). Das (meist trockene) Bachbett durchqueren und hangwärts den anfangs asphaltierten Weg nehmen.

Der Chemin Walter Benjamin ist grundsätzlich ausgeschildert, allerdings fehlen an einigen Weggabelungen doch die entscheidenden Hinweise. Dies gilt insbesondere für den Abschnitt durch die Weingärten. Im Zweifel wählt man den Weg, der sich an den Höhenrücken orientiert und mit stetiger und streckenweise kräftiger Steigung nach oben führt.

chemin walter benjamin
Am Chemin Walter Benjamin

Wer pausieren möchte, darf sich in diesem Streckenabschnitt wundern, wie Weinstöcke in diesem grusigen Schutt ohne Erde wachsen wollen.

Mit der Höhe werden die Hänge steiler und die Weingärten spärlicher. Trockenrasen, die Garrigue und Buschwälder erobern die nicht mehr bewirtschafteten Steillagen. Wir gelangen zu einer Wegtafel und der Weg weist in den Wald nach oben. Auf dem Bergrücken wandert man durch lichten Wald, vor uns wird die Felswand des Tour de Querroig, höchster Punkt des Serrat del Fitó, sichtbar. Auf Höhe der Starkstromleitung gelangt man zu einem Wirtschaftsweg, der bei den höchstgelegenen Weingärten endet, und umrundet den Tour de Querroig leicht ansteigend, entlang der Höhenschichtenlinien.

Nach dem Wald beginnt der kurze, alpinere Wegabschnitt. Kurze, steilere Abstiege bzw. Anstiege sind zu bewältigen, die unter Umständen den Einsatz der Hände erfordern.

Wir sehen bereits den Pass und nehmen den ziemlich direkt geführten Weg zum Coll de Rumpissa.

„Das Bild erschien so unverhofft vor mir, dass ich einen Augenblick an eine Fata Morgana glaubte. Weit unten von wo wir gekommen waren, sah man wieder das tiefblaue Mittelmeer. Auf der anderen Seite vor uns, fielen schroffe Klippen ab auf eine Glasplatte aus durchsichtigem Türkis – ein zweites Meer? Ja natürlich, das war die spanische Küste. [] Ich schnappte nach Luft. Solche Schönheit hatte ich noch nie gesehn“, schreibt Fittko in ihrem Buch Mein Weg über die Pyrenäeen.

coll de rumpissa
Blick vom Collv de Rumpissa Richtung Llanca

Wer hier ankommt, wird verstehen, was die Fluchthelferin Lisa Fittko bewegte, wie diese romantische Naturbeschreibung in dieser tragische Geschichte des 20. Jahrhunderts Platz haben kann.

Wer möchte, kann von hier aus noch den steilen Anstieg auf den Tour de Querroig nehmen. Nach rechts führt die Route Lister weiter Richtung Llançà.

Wir wollen nach Portbou zum Passagen-Memorial von Dani Karavan und nehmen den schmalen Pfad in den lichten Buschwald hinein, die Falllinie  hinunter – nicht den weiter oben führenden Karrenweg. Die Ausschilderung auf der spanischen Seite ist etwas besser. Abzweiger sind im ersten Drittel des Abstiegs aber ohnehin keine. Ab und an finden sich Gedenktafeln mit Zitaten von Benjamin, die der Memorial Democràtic der Generalitat von Katalonien  errichtete.

Später verfolgt man die verwachsenen Wirtschaftswege Richtung Tal, bis ein schrulliges Anwesen am Talboden erreicht wird. Ab hier entlang der schmalen Asphaltstraße an schrebergartenähnlichen Anwesen Richtung Portbou und Meer.

Und nicht vergessen: Kein Mensch ist illegal.

Tipp:
Im Zeitungskiosk in Banyuls-sur-mer gibt es eine gute Auswahl an Karten, zum Beispiel die Carte de Randonnée des IGN, 2549 OT, die ab der spanischen Grenze verblasst… Und hier eine kleine Karte mit dem ungefähren Wegverlauf, (Karte: OpenStreetMap-Projekt)

Karte Chemin Walter Benjamin
Karte Chemin Walter Benjamin

Ein informatives Leser_innen-Update zur Wegbeschreibung:

Euer Wegbeschrieb vom Mai 2012 von reiser hat uns ermutigt, den Weg endlich auch mal selber zu begehen. Das Buch von Lisa Fittko hatten wir früher schon gelesen und natürlich auch vieles von Walter Benjamin. Am Samstag, 8. Oktober 2016 war es dann soweit. Eure Tipps (Karte im Tourist-Info Banyuls holen) und wie gesagt Euer Wegbeschrieb haben uns sehr geholfen.

Falls es Euch interessiert und Ihr den Text aktualisieren möchtet:

Der Weg auf der französischen Seite ist mittlerweile sehr gut ausgeschildert. Es gibt gelbe Farbstreifen an Felsen und Bäumen, Wegweiser und Hinweistafeln.

Zu Beginn ist der Weg, wenn auch stellenweise steil ansteigend, gut ausgebaut. Die letzten Kilometer hingegen sind nicht nur steil, sondern enorm rutschig. Oft hat es keine Bäume und Sträucher um sich festzuhalten, würde man abstürzen wäre das fatal, da man weit und breit alleine ist, kaum jemand ist da anzutreffen und mit Telefonieren ist nix. Wir kamen ziemlich erschöpft auf der Passhöhe an, obwohl wir recht geübte Berggänger sind, wenn auch nicht mehr die jüngsten…(60 und 59).

Der als Chemin Walter Benjamin ausgeschilderte spanische Weg runter nach Portbou ist mit roter Farbe markiert, die allerdings schon etwas in die Jahre gekommen ist und teilweise gesucht werden muss…Vor allem aber ist dieser Weg nach unten ein guter Zacken anstrengender. Wir brauchten etwa zwei Stunden für den extrem steilen Abstieg bis zur Strasse, danach noch etwa zwei Stunden bis Portbou (vorbei an dem tatsächlich „schrulligen“ Anwesen, dessen Besitzer gar keine Freude an uns hatte) und vorbei am kaputten Schulhaus…

Wer schlechte Knie oder Rückenprobleme hat sollte besser entlang der Wirtschaftswege runter nach Portbou laufen, auch wenn es etwas länger dauert und natürlich nicht der Originalroute entspricht. Man kann sich aber trotzdem gut vorstellen, wie das damals war.

Wir sind um 10.00 Uhr los in Banyuls und gegen 17.30 in Portbou angekommen, wir haben genügend Pausen gemacht, aber wir sind schon etwas an unsere Grenzen gestossen. Wir haben einmal mehr den allergrössten Respekt für die Flüchtlinge, die sich damals auf diesen, für viele beschwerlichen Weg machen mussten, um ihr Leben zu retten.

Der letzte Zug von Portbou zurück nach Frankreich fährt um 17.50. In Cerbère muss man leider eineinhalb Stunden auf den Anschlusszug nach Banyuls und weitere Orte warten. Genügend Zeit, um dem Hotel Belvédère (s. https://www.youtube.com/watch?v=4TimIajjMME) einen Besuch abzustatten: Der absolute historische Wunder-Wahnsinn für diese Gegend. Interessant auch die kleine Gedenkstätte unten am Hafen (alter Bahnwaggon) der uns daran erinnert, wie früher das Gemüse und die Früchte aus Spanien von den spanischen Schmalspur- in die französischen Breitspur-Bahnwagen umgeladen werden mussten (Frauenarbeit!).

Seid herzlich gegrüsst aus der Schweiz

Catherine Weber (www.grundrechte.ch) und Heiner Busch (www.sosf.ch) aus Bern

Leser_innen-Update September 2019

Wertvoll fand ich auch die Ergänzung der Leser_innen von
2016, darum dachte ich, eine kurzes Update von 2019 wäre auch für die
Webseite interessant — einen besseren Treffer als Euren Bericht gibt es
kaum im Internet für Wander_innen in spe.

Wegen der Reiselogistik bin ich den umgekehrten Weg von Portbou nach Banyuls
gewandert und fand die Strecke doch gefährlicher als zunächst gedacht.
Alleine habe ich mich auf den Weg gemacht (ein Fehler), und wäre etwa mit
einem umgeknickten Fuß (geschweige denn einem gebrochenen Rückgrat an den
2-3 Stellen an denen man eigentlich Sicherung bräuchte) ganz schön
aufgeschmissen gewesen. Ich bin den Weg am 6. September 2019 bei
Sonnenschein und Sturmböen gegangen, ohne dass mir ein einziger Wanderer
begegnet wäre. Die Route und ihre wenigen Beschilderungen und
Gedächtnistafeln, insbesondere die Markierungen auf spanischer Seite, sind
bereits tüchtig verwittert und die sporadischen Wegmarken zudem wie
beiläufig auf kleine Felsvorsprünge oder gar Bäume gemalt. Mein Auf- bzw.
der Benjaminsche Abstieg nach Portbou besteht viele hundert Meter
Luftlinie – auf spanischer Seite kurz vor der Passhöhe ist das wegen des
steilen Anstiegs eine Stunde Weg – nur aus Buschwerk mit kaum sichtbaren
Pfaden, so dass man hoffen muss, nach einer Gabelung tauche endlich eine
Markierung auf, und man den Weg nicht umsonst gegangen sei. Auf
französischer Seite markieren sporadische gelbe Streifen (gekreuzte Streifen
bedeuten, dass dies eben nicht der Weg sei sondern man dem anderen Weg der
Gabelung folgen soll) den Aufstieg entlang der steilsten Wege, die, meist
kaum sichtbar, von den Wirtschaftswegen den steileren und felsigeren Weg
nach oben wählen. Vielleicht täuscht mich der umgekehrte Blick (beim Abstieg
nach Portbou müsste man sich eigentlich nur bergabwärts gen Meer
orientieren, so wie man beim Abstieg nach Banyuls eben nur die Umrisse des
Städtchens im Blick haben muss), dennoch fehlte es bis zu den
Wirtschaftswegen im Tal nach der Hälfte der Strecke komplett an
Möglichkeiten des Verharrens, es gab kaum schattige Plätze, geschweige denn
Gelegenheiten zum Sitzen außerhalb schmaler Streifen auf dem Sandboden
zwischen Gesträuch und Geröll. Am besten geholfen hat mir die App von
http://www.historia-viva.net/de/ (mit GPS und Offline-Karte), sonst wäre ich
beim Anstieg von Portbou verloren gewesen.

Mein Ab- bzw. der Benjaminsche Anstieg von Banyuls ist etwas besser zu
finden. Der Weg durch die Weinberge führt klar nach oben, auch wenn man den
“Chemin” verpasst und zunächst den Wirtschaftswegen folgt. Ab der „Font del
Bana“, die ausgeschildert und mit einer Tafel versehen ist, führt der Weg
eindeutig entlang des Bergrückens zum Gipfel, aber auch dieser Weg ist über
kurze Strecken für unerfahrene Berggänger schwierig, für
Nicht-Schwindelfreie gänzlich unmöglich.

Vielleicht mögt Ihr Eurem Blogeintrag wenigstens die App mit ihrer
GPS-Einbettung und den Offline-Karten hinzufügen, die mich – einen
unerfahrenen Berggänger – vor den schlimmsten Umwegen bewahrt hat.

Ausgeruht, zu zweit (oder mit mehren) und mit Karte ausgestattet ist der Weg
gut schaffbar und eine tolle Erfahrung.

Viele Grüße aus Banyuls & Bochum,

uebers meer