My Neubau – 90 Jahre Mieter_innenschutz

Gentrifizierung in Wien
Gentrifizierung in Wien

Es muss nicht immer Neubau sein. Nachdem die Vienna’s Urban Lake Side mit Euros zugefüllt wurde, wendet sich das Immobilienentwicklungsgewerbe, so hätten sie die Missionar_innen der besseren Stadt noch vor kurzer Zeit bezeichnet, dem nächsten verwertbaren Leckerbissen zu. Den Gründerzeitvierteln Wiens.

Aspern ist also gegessen. Investor_innen haben ihre Geschäfte für 20.000 Leute abgeschlossen. Im einzigen Wiener Nationalpark wird nach Art der Maulwürfe eine Autobahn gegraben, wer möchte dort in krisenfeste Bunker investieren?

Wo wäre sonst noch Platz? Wie hoch muss Platz sein, damit er lukrativer Lebensraum wird?

Nicht hoch genug.

Die Aufschließungskosten für Neubaugebiete wie Asperner Flughafen, Lepoldauer Gaswerk, Rothneusiedl, Leberberg sind einfach viel zu hoch, erkennt der zuständige Stadtrat Michael Ludwig plötzlich. Vermutlich erwartet er sich zustimmendes heftiges Kopfnicken.

Diese Erkenntnis kommt doch etwas spät. Für den Leberberg mussten extra die Einkommensgrenzen erhöht werden, um in dieser ressentimentgeladenen und unattraktiven FP-Hochburg überhaupt Menschen zum Hinziehen bewegen zu können.

Wir sind lernfähig. Sehen wir dorthin, wo Infrastruktur und Potenzial vorhanden sind. Den Blick darauf richtet der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, eine kolportierte Nachwuchshoffnung der SPÖ, nachdem jeder freie Quadratmeter von Wien verbaut ist.

Der Rubel rollt

Bis 2030 wird für Wien ein gigantischer Zuzug vorhergesagt. Dieses Wachstum der Metropolen ist ein globales Phänomen, wie zum Beispiel Stephen Graham in seinem Buch „Cities under Siege“ empirisch belegt.

Der kommunale Wohnbau wurde vor einigen Jahren gestoppt. Begründet wurde der Baustopp mit einem Ende der Nachfrage und damit, dass die Stadt bereits genügend Wohnungen verwaltet. Wenn Wien wächst, stellt sich die berechtigte Frage, warum der zusätzliche Wohnbedarf, falls er überhaupt gedeckt werden soll, nicht durch kommunale oder commonale Investitionen befriedigt wird.

Wer ist diese soziale Schicht, die sich die Dachausbauten in der Josefstadt, in Neubau oder in Ottakring leisten kann? Und politisch relevanter: Wer sind die Hauseigentümer_innen, die in den genannten Bezirken von den Aufdoppelungen profitieren?

Prekarisierte Zuzügler_innen? Oder vielmehr institutionelle Investitor_innen? Das private, der gesellschaftlichen Wertschöpfung entzogene, Vermögen, das in Papiere, Bücher, Aktien angelegt wurde, ist unsicher geworden und deshalb extrem volatil. Unzählige aktuelle Altbau-Baustellen legen akut davon Zeugnis ab und verteuern für alle Wohnraum täglich.

Gentrifizierung an der Alten Donau, Wien
Gentrifizierung an der Alten Donau, Wien

Wer wird vertrieben? Welche vorhandenen Strukturen zerstört? Wie lebt es sich in einem Viertel, in dem niemand mehr wohnt/wohnen kann?

Der kürzlich in Wien gezeigte Film My Brooklin von Kelly Anderson lässt ahnen, wohin die Reise auch in Wien geht, wenn Widerstand nicht erfolgreich organisiert wird.

Eine neue Mieter_innenschutzbewegung braucht die Stadt

Dem Ziel, die gute Wiener Tradtion des Mieter_innenschutzes zu reaktivieren, widmet sich die Veranstaltungsreihe des Bündnis Wilder Wohnen. Vielversprechend klingt der Vortrag von Andrej Holm, der vor einigen Jahren ins Visier der Sicherheitsbehörden geriet, weil sie bei Internetrecherchen mit den Suchbegriffen „Gentrification“ und „Prekarisierung“ auf seinen Namen stießen. Und die Crime City Tour zur Alten Donau mit dem Sprecher der BI Obere Alte Donau sollte auch auf die hier errichteten Bretterdörfer, die wilden Landnahmen im Wien der 1920er-Jahre verweisen.

Was tun? Frage ich meine_n bekannt rosinenverliebte_n Stadtbäcker_in: „Stechen und fließen. Wohntraumbäckerei ist wie ein Germteig. Einmal reinstechen und er fällt zusammen.“

Hinweis:
Die IG-Kultur erhebt derzeit auf der Website www.leerstandsmelder.net die Leerstände in der Stadt. Ziel der Plattform ist nicht, Makler-Börse zu sein, sondern die Leerstände in Wien und ihre weitere Entwicklung zu dokumentieren. Die letzte Untersuchung dazu stammt aus dem Jahr 1996 – seither ist viel Luft in die Alte Donau gepumpt worden.

Tipp:
Das Programm des Bündnis Wilder Wohnen kann auf http://wilderwohnen.blogsport.eu/ nachgelesen werden.

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