Merkblatt der österreichischen Roten Hilfe über Verhalten gegenüber Polizei und Gericht

Im Austrofaschismus sammelte die Rote Hilfe nicht nur im Karl-Marx-Hof
Im Austrofaschismus sammelte die Rote Hilfe nicht nur im Karl-Marx-Hof

Heute jährt sich der austrofaschistische Putsch zum 80. Mal. Geschichte wiederholt sich nicht, dennoch sind die Parallelen zum hier und heute mehr als evident. Sicherheitskräfte werden auf Menschen, die sich gegen Faschismus engagieren, gehetzt, Repression und Überwachung sind allgegenwärtig.

Grund genug, einen Text der Roten Hilfe aus 1934 in Erinnerung zu rufen.

„Merkblatt der österreichischen Roten Hilfe über Verhalten gegenüber Polizei und Gericht
DÖW E 19.279

Die faschistische Diktatur stellt an alle Klassenkämpfer* erhöhte Anforderungen bei der Durchführung ihrer revolutionären Arbeit.

1. Allgemeines Verhalten
Halte deine Wohnung von belastendem Material frei. Mache selbst „Haussuchungen“ und beseitige belastende Dokumente und Materialien. Mache dir unbedingt nötige Notizen nur so, dass sie ein anderer nicht entziffern kann. Frage nicht nach Dingen, die du nicht zu wissen brauchst, und erzähle anderen nichts, was nicht unbedingt notwendig ist. Benimm dich nicht auffallend, tu nicht geheimnisvoll, sprich keinen Genossen* an,  dem zu zufällig begegnest, besonders wenn er sich in Begleitung von Personen befindest, die du nicht kennst.
Sei in ständiger Verbindung mit einem Funktionär der Roten Hilfe, damit dieser im Falle einer Verhaftung oder dergl. sofort unterrichtet wird und dir helfen kann.

2. Haussuchungen
Erschrick nicht, wenn Beamte* kommen, und bewahre Ruhe. Verlass dich nicht auf gesetzliche Bestimmungen, aber fordere deren Einhaltung. Sprich keine Drohungen und Beleidigungen aus, informiere deine Familienangehörigen zeitig genug über ihr Verhalten.

3. Verhaftungen
Rede auch dann nicht, wenn man* dir sagt, ein anderer hätte bereits gestanden, selbst wenn sie Tatsachen erzählen, denn meistens sind es nur Annahmen. Wenn du misshandelt wirst, merk dir die Beamten*, gegebenenfalls beschreite den Beschwerdeweg, wenn es auch zwecklos erscheint. Schreibe deinen Angehörigen und verlange einen dir bekannten Rechtsanwalt. Suche über deine Angehörigen Verbindung mit draußen und der Roten Hilfe. Sei vorsichtig mit Kassibern, oft sind sie das einzige Beweismittel. Fasse sie so ab, dass sie dich und andere nicht belasten.

4. In Untersuchungshaft und Massenhaft
Keine Panikstimmung. Rote Hilfe ist da. Sorgt für die Familien! Organisiert Verteidigung! Internationale Solidarität ist groß, besonders in SU. Gemeinsame Forderungen stellen: Unterbringung, Behandlung, Verköstigung, Besuchserlaubnis, Lesemöglichkeiten, Bewegung im Freien usw. Kommissionen wählen, die Forderungen vertreten. Nach außen Berichte schicken, aber Tatsachen, äußerste Vorsicht, Kampfmaßnahmen vorher besprechen und planmäßig steigern, gegebenenfalls bis zum Hungerstreik. Dieser ist eine ernste Waffe. Verbindung mit draußen  wichtigste Voraussetzung, da ohne sie meist ohne Erfolg. Die Rote Hilfe wird es den Angehörigen nötigenfalls ermöglichen, einen Rechtsanwalt zu stellen.

5. Vor Gericht
Nicht jeder* ist ein* Dimitroff, aber jeder* muss von ihm* lernen. Es wird viele Prozesse geben, mit Gruppen von Angeklagten. Eine einheitliche Linie beziehen. Sich nicht gegenseitig belasten. Geschultere Genossen* als Wortführer* vorschicken. Nicht nervös oder apathisch werden. Alle Chancen ausnützen. An Dimitroff denken. Nicht erschrecken oder einschüchtern lassen. Die Zeit der Befreiung kommt schneller, als eure Richter* denken. Dann seid ihr die Richter*.

6. Massenverteidigung
Größter Druck von außen auf die Gerichte. Proteste aus Betrieben, Mobilisierung der Wohngebiete, Protestresolutionen und Telegramme an das Gericht. Delegationen, Besetzung der Gerichtssäle durch revolutionäre Arbeiter*. Demonstrationen vor Gericht und Gefängnissen. Vor jedem Prozess Öffentlichkeit durch Flugblätter mobilisieren. Vorgänge in der Verhandlung breitester Öffentlichkeit zugänglich machen. Zeugen* suchen und Protokolle mit ihnen aufnehmen und dem Gerichte zustellen. Kein Prozess ohne Massenmobiliserung in Betrieben und Wohngebieten.
Die Rote Hilfe steht zu euch und euren Familien; sie organisiert die Welthilfsaktion des Proletariats. Sie organisiert den Kampf gegen die faschistische Justiz, für die Befreiung aller Klassenkämpfer* aus den Kerkern und Konzentrationslager.
Österreichische Rote Hilfe“

Quelle: Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934 – 1945, Eine Dokumentation. Band 1, Hsg. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, Österreichischer Bundesverlag, Wien. 1987.

Tipp:
Anarchist Black Cross Solidarity Festival, Vienna 24.-27. April https://abcfestvienna.noblogs.org/

Link:
Solikollektiv für die Repressionsbetroffenen vom 24. Jänner – Solidarität mit den kriminalisierten Antifaschist_innen! http://soli2401.blogsport.eu/

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