Euro Pah!

Dublin
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Vorwärts! Was? Wie, wohin? Egal, Hauptsache man ist schneller dort, würde der Wiener sagen.

Es muss weiter vorwärts gehen, sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Weitergehen muss die Ratifizierung des Lissaboner Vertrages, sagt EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. „Wenn ich aber Mindeststandards haben will, ist es logisch, dass die nicht auf dem Niveau aufbauen, das Österreich schon hat“, sagt der österreichische Vizekanzler Wilhelm Molterer, und sein „Bruder im Geiste“ (Molterer) Lech Walesa ergänzt in einem Standard-Interview: „Wenn der Niveauunterschied zu groß ist, gibt es einen Niagarafall. Europas Aufgabe ist es, die Niveaus auszugleichen, natürlich nach oben.“ Das ist selbstverständlich das Gegenteil von dem, was der Vizekanzler uns weismachen möchte. Das Dogma der Standortsicherung bleibt im konkreten Fall der geistigen Europa-Verteidung außen vor, weil niveauvolle, kürzere Arbeitszeiten den Standort Österreich für Unternehmen nicht attraktiver machen.

Ein seltsames Ding,
diese EU. Von den Regierungen der Mitgliedstaaten wird eine Kommission beschickt, die ohne demokratische Kontrolle eine wirtschaftsliberale Politik durchsetzt, die zu Hause die nationalen Regierungen so nie wagen würden. Hinterher werden in den europäischen Hauptstädten die Folgen beklagt, aber leider, alles versucht. Am Rande sitzen noch ein paar Neulinge, wären lieber ein Stern auf der amerikanischen Flagge und sehen ihr Wertesystem durch den gesellschaftsliberalen Anspruch der Kommission bedroht.

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Währenddessen wird fast das gesamte Budget in die Landwirtschaft gepumpt und fördert damit nicht etwa eine Landreform, wie sie zum Beispiel Spanien brauchen würde, um die Sicherung der Wasserversorgung gewährleisten zu können. Statt effiziente Maßnahmen dort zu setzen, wo es eine Sicht auf das Ganze und entsprechende EU-weit gültige Rahmenbedingungen verlangt, wie Schutz von Klima und Umwelt, Maßnahmen zum sozialen Ausgleich, Sicherung der Daseinsvorsorge, Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit werden diejenigen Individual- und Gruppeninteressen gefördert und durchgesetzt, die den stärksten Einfluss innerhalb dieses seltsamen Dings bestmöglich geltend machen.

Das Europa der BürgerInnen beginnt dort, wo selbst wegen Sportveranstaltungen temporär Schengen außer Kraft gesetzt wird, EU-BürgerInnen in Bausch und Bogen aus einem Mitgliedstaat geworfen werden, bloß weil ihre Nation durch keinen Nationalstaat repräsentiert wird, und weil’s in die liberale Ideologie des Nachtwächter- und Überwachungsstaats passt, gegen alle BürgerInnen ein Generalverdacht wegen möglicher strafbarer Handlungen erhoben wird. Wenigstens in diesem Fall ohne Ansehen von Hautfarbe, Religion oder Geschlecht.

Die EU-Kommission weiß das, und die Regierungen der Mitgliedstaaten wissen das ebenso. Als ob es nicht genügt hätte, dass sich die Wirtschaft von der Wirtschaftspolitik sanktionslos abgekoppelt hat, wenden sich selbst die Begünstigten eines Systems, wie Irland, von der EU ab. Nur vordergründig wird dieses System von populäreren Gruppierungen, die unterschiedslos vom Polit-Establishment zu PopulistInnen gemacht werden, gefährdet.

Eine gefährliche Dimension entsteht für das politische Gebilde Europa durch die verloren gegangene Balance von Kapitalinteressen und den Interessen der Menschen, der Gleichsetzung von Polizeistaatlichkeit und dem allgemeinen Sicherheitsbedürfnis, das Schutz vor Naturkatastrophen gleichermaßen bedeutet wie ein Altern in Würde oder die Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln. Dramatisch wird es, wenn mit zunehmend härteren Lebensumständen Demagogie und Populismus mehrheitlich anschlussfähig und in ihrer Gemeinheit medial verstärkt werden, und tragisch, wenn europäischen PolitikerInnen zu dieser Misere nicht mehr einfällt, als über Nachrichtenagenturen selbstgerechte Betroffenheitsprosa und Durchhalteparolen abzusondern.

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„Anstatt zum Bahnhof zu gehen und sich dort über Zuganschlüsse zu informieren, schloß er sich in seinem Pensionszimmer mit einem Vorrat von Ansichtskarten der Orte ein, die man auf einer solchen Reise durchqueren würde; hinzu kam eine durchdachte Anordnung von Uhren und barometrischen Instrumenten, sowie eine Vorrichtung zur Regulierung des Gegenlichts, dergestalt, daß es sich dem Wechsel des Tageslichts anpaßte. Was in diesem Zimmer geschah, oder wie Uhren und anderen Maschinen im einzelnen gehandhabt wurden, werden wir nie erfahren. Es scheint, daß er nach einem Zeitraum von sieben Stunden wieder auftauchte, davon überzeugt, in Folkestone zu sein und darüber hinaus eine Formel für Reisende entwickelt zu haben, die bei Eisenbahngesellschaften und Schiffahrtslinien heftigen Widerwillen erregen würde.“ (Flann O’Brien, Der dritte Polizist).

Vorwärts! Zur Sonne, dem Lichte empor!

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