Fernand Melgar und Monika Mokre im Gespräch zur Situation von Geflüchteten in Europa

„Es ist ein Krieg. Ein stiller Krieg“, sagte der Filmemacher Fernand Melgar über die Migrationspolitik Europas anlässlich der Präsentation seines Filmes Vol Spécial („Ausschaffungsflug“ oder „Abschiebeflug“) über die menschenunwürdige Situation von Refugees in einem Schweizer Abschiebeknast im Wiener Filmcasino.

Dieser „stille Krieg“ gegen Flüchtende und Migrant_innen hat viele unterschiedliche Nuancen: Unterlassene Hilfeleistung und Push-Backs im Mittelmeer, Haft, Kriminalisierung, Drangsalierung und offener Hass am europäischen Kontinent.

Wir erinnern uns daran, dass die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im Zuge der Verfolgung von Refugees wegen angeblicher Fluchthilfe folgendes von sich gab: „Wenn es etwa Probleme mit schwangeren Frauen auf der Schlepperroute gab, dann wurden diese Frauen hilflos auf der Route zurückgelassen.“ (Quelle: orf.at).

Wir erinnern uns daran, dass das Bundeskriminalamt damals von Ermittlungen gegen eine „große kriminelle Organisation“ sprach.

Wir erinnern uns daran, dass einige Refugees, die kommenden Donnerstag von einer gerichtlichen Verurteilung bedroht sind, aktiv an den Wiener Refugee Protesten beteiligt waren, und dass die Innenministerin auf mehr als nur berechtigte Forderungen wie Bewegungsfreiheit oder Arbeitsmöglichkeiten mit beharrlicher Verweigerung reagierte.

Und wir erinnern uns daran, dass im Zuge einer politisch fehlgeleiteten Islamismuskritik, die zum größten geheimpolizeilichen Einsatz in der Geschichte der Republik führte, ebenjene Innenministerin davon sprach, dass Repression notwendig sei.

Im folgenden ein übersetztes Transkript eines Gesprächs zwischen Fernand Melgar und Monika Mokre, initiiert von KulturHorizonte vom 12. Oktober 2013.

Read more from the discussion between Fernand Melgar and Monika Mokre, organized by KulturHorizonte on 12 October 2013. English version (short) below:

Deutsche Version (gekürzt):

Monika Mokre (MM): Was hat dich dazu gebracht, den Film ‚Ausschaffungsflug‘ zu drehen?

Fernand Melgar (FM): Menschen sterben auf der Schwelle zu Europa. Es gibt hier einen stillen und namenlosen Krieg in mit Abschiebungen, Toten, Lagern, und er findet genau jetzt statt. Heute gibt es in Europa 350 Lager, in denen sich 40.000 Menschen befinden: Familien, Männer, Frauen, Kinder. Niemand kümmert sich um diese Leute. Und was noch entsetzlicher ist: Wir könnten in diese Camps hinein, wenn wir wollten. Zum ersten Mal in der Schweiz, aber auch in der EU, ist es jedem und jeder möglich, in so ein Camp zu gehen. Das Camp in meinem Film ist sehr speziell, ein Fünf Sterne-Camp. Ich wollte diesen Film machen um zu zeigen, was im Inneren des Lagers geschieht.

MM: Mich hat es verblüfft, dass du wirklich im Lager drehen durftest. Genauso wie mich der Fünf Sterne-Standard verblüfft hat. Ich kenne Abschiebelager in Österreich. Selbstverständlich ist es dieselbe Logik, Menschen grundlos in ein Gefängnis zu stecken, dieselbe Obszönität, aber die Bedingungen in dem Camp, das du zeigst, sind so viel besser. In Österreich wohnen oft bis zu acht Menschen in einem einzigen Raum, in dem sie den ganzen Tag lang eingesperrt sind. Sie bekommen sogar ihr Essen hier, und in den viel zu kleinen Hof dürfen sie gerade einmal für eine Stunde täglich.
Wie auch immer: Inwiefern hat deine Anwesenheit das Leben im Lager beeinflusst? Mir hat es gefallen, dass du nicht auf der einen Seite die Guten und auf der anderen die Bösen gezeigt hast, sondern wie jeder auf seine Art das Beste aus der Situation macht. Trotzdem habe ich mich gefragt, ob das Personal besonders nett und höflich war, weil du da warst. Glaubst du, du konntest einfangen, wie es dort wirklich zugeht?

FM: Als wir die Dreherlaubnis erhielten, verbrachte ich erst einmal sechs Monate im Camp, ohne zu filmen. Ich bin ein unabhängiger Filmemacher und habe Zeit, das ist mein persönlicher Reichtum. Ich bin also sechs Monate lang geblieben, und jeden oder jeden zweiten Tag habe ich Zeit mit den Gefangenen verbracht, und auch mit den Wärtern, einfach um ganz genau zu verstehen, wie alles funktioniert, und um mit allem vertraut zu sein. Das ist nämlich die Basis für meine Arbeit. Erst dann ist meine Crew angekommen. Jedenfalls habe ich zu Beginn eine Menge Fotos gemacht, Portraits von den Gefangenen. Diese Bilder hab ich ihnen zurückgegeben, und die Gefangenen haben sie ihren Familien geschickt. So haben wir eine Art Beziehung miteinander aufgebaut. Später, wenn ich beginne, mich wie einer von ihnen zu fühlen, beginne ich, am Alltagsleben teilzuhaben. Und erst dann beginne ich mit dem Filmen. Das ist meine Methode. Wir sind keine professionellen Schauspieler_innen, und niemand kann über einen so langen Zeitraum eine Rolle aufrecht erhalten, keine_r kann immer nur spielen. Aber tatsächlich greift die Kamera in die Dinge ein. Sie enthüllt. Für mich ist es wichtig, genau das zu finden, was ansonsten unsichtbar gemacht wird. Ich versuche, die Wahrheit zu finden, die dahinter liegt. Mein Film ist nicht eine Frage der Wahrheit, sondern eine Frage des Glaubens. Die Frage ist: Glaubst du, oder glaubst du nicht. Ich glaube wirklich an diese Leute, und ich habe versucht, einen Film über diesen meinen Glauben zu machen.

MM: Möchtest du über deine früheren Filme erzählen? Es gibt da nämlich Erzählungen über Gerechtigkeit und Menschlichkeit, die in allen deinen Arbeiten vorkommen.

FM: Ich komme aus einer Einwander_innen-Familie, und meine Geschichte ist ähnlich der anderer Söhne oder Töchter von Schweizer Einwander_innen. In den 1970ern, als meine Eltern in die Schweiz kamen, gab es dieses sehr spezielle Gesetz, das ihnen verbot, ihre Familien mitzubringen. Sie durften nichts als arbeiten. Also brachten viele Leute aus Spanien und Italien ihre Kinder und versteckten sie. Auch ich komme aus dieser Generation der versteckten Kinder. Heute bin ich Schweizer, und ich bin stolz darauf, aus der Schweiz zu sein, diesem großen und netten Land, in dem wir humanitäres Recht, das Rote Kreuz und die Genfer Konvention erfunden haben. Aber genau wie in Österreich haben wir heute eine massive Zunahme der extremen Rechten. Tja, und dieses Abschiebelager ist genau zwei Kilometer vom Roten Kreuz entfernt. Diese dunkle Seite wollte ich zeigen.

MM: Ich war überrascht von der Sache mit der Unsichtbarkeit, über die du zu Beginn geredet hast. In Österreich spüren wir diese Unsichtbarkeit auch ganz stark. Es gibt hier eine Refugee-Protestbewegung, wir machen jede Menge Lärm, wir haben eine Menge Medien, und immer noch sehen die Leute die Refugees nicht wirklich. Ich erinnere mich, dass ein Freund von mir, ein serbischer Künstler, der in Berlin lebt, Menschen interviewte, die neben einem Abschiebelager – einem riesigen Gebäude – lebten und sie fragte: Was ist das für ein Gebäude? Und die Leute antworteten: Oh, ich weiß nicht, vielleicht ein Krankenhaus? Oder für Kriminelle? Es ist wirklich überraschend, wie etwas so nah an dir sein kann und du einfach deine Augen davor verschließt. Und genau deshalb ist dein Film so wichtig.

Frage aus dem Publikum: Gibt es in der Schweiz auch Lager, die anders aussehen als dieses Fünf Sterne-Lager? In Österreich sind zum Beispiel diese psychologischen Behandlungen von Leuten kurz vor ihrer Abschiebung überhaupt nicht üblich.

FM: In der Schweiz gibt es 28 Lager, in jedem Kanton eines. Und jedes Gefängnis hat sein eigenes Gesetz. In Zürich zum Beispiel sind die Häftlinge völlig isoliert. Sie dürfen für eine oder eineinhalb Stunden ins Freie, aber sie sehen niemanden. Die Wärter sprechen nicht direkt mit den Gefangenen, sondern nur über Mikrophone, und die Leute werden einfach völlig verrückt. Es kommt vor, dass das elektrische Licht überhaupt nicht abgeschalten wird, viele Menschen verüben Selbstmord. Wenn dann ein Spezialflug angesetzt wird, geschieht immer alles mitten in der Nacht, wenn die Leute schlafen. Ein Sechs-Personen-Kommando kommt und überfällt die Leute, während sie schlafen. Sie müssen ihre Kleider ausziehen und werden nackt zum Flugzeug gebracht. Die meisten der Gefängnisse in der Schweiz sind genau so, aber nicht alle. Was in Genf anders ist: Das Lager ist sehr teuer, und es gibt hier keine Frauen. Die Kosten für einen Gefangenen pro Tag betragen 500 Euro, du kannst dir also vorstellen, was dann zwei Jahre kosten. Es werden hier nur Männer eingesperrt, weil angenommen wird, dass die ganze Familie die Schweiz verlässt, wenn ein Familienvater abgeschoben wird. Das passiert natürlich nie, sondern der Mann wird versuchen, so rasch wie möglich zurück zu kommen. In der Schweiz gibt es 200.000 Menschen, die hier leben, arbeiten, Steuern zahlen und keine Papiere haben. Die Schweiz braucht diese Leute, weil sie die schmutzige Arbeit machen, die niemand von den Schweizer_innen machen will. Das ist eine Parallel-Ökonomie. In der Schweiz stehen heute Bankiers und Finanzmärkte im Fokus. Die Schweizer_innen sind gute Leute, sehr liberal. Als sie damit begannen, die Bankiers zu kritisieren, haben diese mit Kampagnen gegen die Migrant_innen angefangen, über eine politische Partei. Sie haben die Geflüchteten wie Tiere dargestellt, als Ratten, Krähen, schwarze Schafe. Die Sujets haben sie auf den teuersten öffentlichen Standorten plakatiert und die ganze Schweiz damit überzogen, und sie haben die Geflüchteten wie Kriminelle dargestellt, wie Jüd_innen in Nazi-Deutschland, mit großen Nasen und Klauen. Das ist eine Gehirnwäsche. Bis die Wähler_innen daran glauben, dass die Geflüchteten die Kriminellen sind, nicht die Bankiers.

MM: Und wo ist dein Film gezeigt worden? Wie waren die Reaktionen?

FM: Um die 40.000 Menschen haben den Film gesehen, was ein ziemlicher Erfolg ist. Es gab jede Menge Artikel, Diskussionen, aber nichts hat sich verändert. Im Film haben wir ein Lager für 25 Gefangene gesehen, und gleich nach dem Film wurde damit begonnen, ein Lager für 250 Gefangene am selben Ort zu bauen. Es ist schrecklich, weil es den Anschein hat, dass es den Menschen gleichgültig ist.

MM: Das Refugeecamp in Wien hatte auch eine ganze Zeitlang eine recht gute mediale Berichterstattung. Jetzt ist es ein bisschen ruhig geworden, aber sobald etwas passiert, berichten die Medien. Ich frage mich, ob sich so die öffentliche Meinung langsam ändern wird, oder ob zumindest mehr Bewusstsein geschaffen wird. Aber genau wie du sagst, den meisten Menschen ist es einfach egal, sie nehmen nicht einmal die Berichte in den Medien wahr. Und was wir außerdem realisiert haben: Auch wenn die Medienresonanz positiv ist, ändert sich die gesetzliche Lage nicht, es wird nicht einmal da oder dort eine Ausnahme gemacht. Die Situation ist absurd, sie hat nichts zu tun mit Menschenrechten, mit Demokratie, mit der Genfer Kovention. Glaubst du denn daran, dass sich die Dinge langsam ändern werden? Wie sehen deine Erwartungen aus?

FM: Europa steckt in einer tiefen Krise. Es ist unmöglich, gleichzeitig in einer Krise zu stecken und die Menschenrechte zu respektieren. Ich zeige diesen Film in einer Menge Schulen, mit umfassender pädagogischer Begleitung. In den Schweizer Städten sind die Klassen ziemlich divers und multikulturell. Zu Beginn verstehen die Kinder nicht, was sie da sehen. Wir versuchen es zu erklären, und sie werden furchtbar wütend und sagen, wir akzeptieren das nicht. Deshalb habe ich ein wenig Hoffnung für die nächste Generation. Aber unsere Generation ist eine desillusionierte. In Europa gibt es in vielen Ländern zivilgesellschaftliche Bewegungen. Was geschah in Lampedusa? Die ganze Region wird von FRONTEX kontrolliert. Sie wissen, das Boot wird sinken, die Leute werden sterben, und sie rühren keinen Finger. Sie sind nicht hier, um zu retten, sondern um zu schützen, um zurückzustoßen, und zwar mit EU-Geldern. Proteste wie die in Wien machen sichtbar, dass das mit Demokratie nicht kompatibel ist. Also werden in Zukunft alle Lager außerhalb von Europa gebaut werden, bezahlt von der EU, an den Außengrenzen von Mauretanien, der Ukraine, Lybien, und eines in Israel für 14.000 Menschen mitten in der Wüste Negev. Die Menschen werden in diese Lager abgeschoben werden, keine NGO wird auch nur einen Fuß in diese Lager setzen können.

MM: Migrant_innen und Geflüchtete sind ein relevanter Wirtschaftsfaktor. Sie sind diejenigen, die in Spanien und Italien Obst und Gemüse pflücken, und auch hier in Österreich. Sie sind diejenigen, die sich um unsere Alten und die Kinder kümmern. Es ist doch interessant, wie Nationalismus und Kapitalismus zusammenarbeiten, um Menschen maximal auszubeuten, die absolut keine Rechte haben und offensichtlich nicht in Streik treten können. Wie positionieren sich denn die Schweizer Gewerkschaften in Bezug auf Migrationspolitiken?

FM: Sogar die linken Gewerkschaften fühlen sich unbehaglich, weil sie mit jedem Mal Stimmen verlieren, wenn sie das Wort „Geflüchtete“ in den Mund nehmen. Deshalb tummeln sie sich im Revier der Rechten und benehmen sich wie kleine weiße Kaninchen, starr und bewegungslos. Eher sind es noch die Grünen, die sich in Fragen von Migration und Flucht engagieren. Es ist verrückt, weil ja auch die Schweiz ein Land mit einer höheren Sterbe- als Geburtenrate ist. Die Schweiz hat nichts außer Steinen und Seen, aber jede Generation von Migrant_innen bringt Reichtum ins Land. Migrant_innen haben die Banken gebracht und die Uhren, und neue Migrant_innen bringen neue Formen von Reichtum in die Schweiz. Während die Mittelschicht immer mehr verarmt, wird eine kleine Oberschicht unglaublich reich, auch indem sie Dritte Welt-Länder wie Angola ausbeutet und korrumpiert. Eine Schweizer Ministerin reiste nach Angola, um ein Abkommen zu erzielen, das es erlaubt, Angolaner_innen über Spezialflüge zurück zu schicken. Die angolanische Regierung stimmte zu, verlangte im Gegenzug aber spezielle Visa für ihren Botschafter. Kein Problem für die Schweiz. Heute kommen also die angolanischen Diplomat_innen in die Schweiz und machen hier ihre schmutzigen Geschäfte mit Schweizer Unternehmen, und gleichzeitig schieben wir arme Angolaner_innen ab.

MM: In Österreich hat es eine zeitlang keine Abschiebungen nach Pakistan gegeben, weil Pakistan die Leute nicht zurückgenommen hat. Aber weil die Refugeecamp-Bewegung hauptsächlich aus Aktivisten* aus Pakistan besteht, gibt es jetzt mit der pakistanischen Regierung eine neue Vereinbarung, die mehr Entwicklungshilfe aus Österreich verspricht. Und es heißt – aber das können wir nicht beweisen – dass die Entwicklungshilfe wie ein Kopfgeld pro Abschiebung bezahlt wird. Es wird gesagt, dass für jede_n Refugee, den_die Pakistan zurück nimmt, 7.000 Euro bezahlt werden.

Frage aus dem Publikum: Welche Medikamente erhalten die Gefangenen denn bei einer Zwangsabschiebung, und bekommen sie auch Injektionen? Und was für ein Essen gibt es im Lager? Wird das Essen mit Bromiden versetzt?

FM: Alle Gefangenen, die im Film zu sehen sind, stehen unter Medikamenteneinfluss. Sie sehen jeden Tag einen Psychologen, eine Psychiaterin, sie alle haben Gesundheitsprobleme. Wir durften allerdings die ärztlichen Beratungen nicht filmen. Die Gefangenen haben Probleme, weil sie nichts zu tun haben und deshalb in der Haft verrückt werden. Bei einer Abschiebung mit einem Spezialflug werden den Gefangenen ohne deren Zustimmung Beruhigungsmittel injiziert, sodass sie den ganzen Flug über schlafen. Das ist völlig verboten.

Frage aus dem Publikum: Haben Sie etwas von den Refugees gehört, deren Abschiebung im Film zu sehen ist? Wie geht es ihnen?

FM: Ich habe die Verbindung zu den Refugees nie abreißen lassen, wir sind nach all der Zeit, die wir miteinander verbracht haben, Freunde geworden. Wir haben uns Sorgen gemacht darüber, was mit ihnen nach der Abschiebung geschehen würde. Wir sind telefonisch in Verbindung geblieben, und manche von ihnen sind in einer verzweifelten Situation. Der Sänger Wandifa zum Beispiel, der Typ aus Kamerun, ist in wirklicher Gefahr. Er ist kein Wirtschaftsflüchtling, sondern seine ganze Familie wurde in ihrem Haus bei lebendigem Leib verbrannt, weil sein Vater Militärausbildner in der Armee war. Wie durch ein Wunder konnte Wandifa fliehen, Kamerun verlassen und in die Schweiz kommen. Er suchte um Asyl an, aber wurde ins Gefängnis geworfen, und zurück in Kamerun wurde er sofort verhaftet. Für sechs Monate musste er ins Gefängnis und wurde gefoltert. Und zwar nicht, weil er oder sein Vater Aktivisten gewesen waren, sondern weil er in der Schweiz um Asyl angesucht hatte. Die Schweizer Regierung hatte seine Akte an die Kameruner Regierung weitergegeben, was zweifellos eine Verletzung der Genfer Konvention darstellt. Wir haben seinen Fall wieder vor Gericht gebracht, und sie haben zugegeben, dass sie einen Fehler gemacht haben. Aber nichts ist passiert! Und das war nicht das erste Mal, sie machen das andauernd, als Signal an die Menschen aus Afrika. Im Land der Genfer Konvention werden die Akten der Geflüchteten einfach weiter gegeben!

MM: Ich möchte auch eine Geschichte erzählen: Es gibt ein Dorf an der apulischen Küste, das praktisch ausgestorben ist. Geflüchtete kamen in das Dorf, und die Einwohner_innen entschieden, dass sie bleiben sollten. Das ganze Dorf wurde neu aufgebaut, und jetzt arbeiten alle zusammen. Die meisten Refugees verlassen das Dorf wieder nach ein oder zwei Jahren, aber neue Leute kommen nach. Das ist ein Beispiel, wie es auch sein könnte. In Österreich sterben auch viele Dörfer aus, es gibt jede Menge Platz.

FM: Es sieht nur aus wie eine verzweifelte Situation, aber ich denke, es ist gar keine. Wir müssen nur aufwachen. Es hängt nicht von mir ab und nicht von dir, es hängt von uns allen ab.

English version (short):

Monika Mokre (MM): What was your motivation to do the film ‚Vol Spécial‘?

Fernand Melgar (FM): People are dying at the entrance to Europe. There is a war in Europe, a silent war without a name, but a war with deportation, with dead people, with camps, and it is happening today. Today in Europe you have 350 camps and right now 40.000 people inside these camps. Families, men, women, children. Nobody cares about these people. And what is even more horrible: We would have the chance to get inside these camps. For the first time in Switzerland – but also in Europe – you are allowed to go in these camps. In my film you see a very special camp, a five-star camp. But for me it was very important to make this film to see what happens inside.

MM: It astonished me that you were allowed to go inside and to make this movie. And also the five-star quality astonished me. I know about these kind of detention centers in Austria, and of course it’s the same logic to put people into prison without any reason for that, it’s the same obscenity, but the conditions in the camp you showed are much better. Here often eight people live together in one room in which they have to stay for the whole day. They get their food there, they are allowed to go to the courtyard for one hour which is much too small for them.

Anyhow, I was wondering in how far you influenced by your presence what went on in the camp. I liked that you did not show the good guys and the bad guys, but everybody making in a way the best out of the situation. Still I was wondering if staff was especially nice and polite because you were there. Or do you think you were you able to catch the real life?

FM: When we obtained the authorisation to go to the camp, I stayed inside for six months without filming. I am an independent film maker and I have the time, that’s my richness. So I stayed for six months, and every day or every second day I spent time with the prisoners, but also with the guardians, just to understand exactly how it works and to be in confidence, because that’s the basis of my work.And after this time my crew arrived. But during the six months I made lots of pictures, portraits of the prisoners, the detainees. I gave back these pictures, and the prisoners sent them to their families. So we developed a kind of relationship together. Later on, when I feel like I am one of them, I take part in the everyday life, then I start to film, that’s my method. We are not professional actors, and over such a long period it’s difficult to play a role. It’s impossible to play always. But in fact the camera changes things. It reveals. For me it is very important to find what is kept invisible. I try to find the truth that lies behind. My film is not a question of truth, it’s a question of belief. The question is: Do you believe or not. I really believe in these people, and I tried to make a film about my belief.

MM: Would you like to talk a bit about your earlier films, and about the thread of questions of justice and humanity running through your work?

FM: I come from a family of migrants, and I have a story similar to that of other sons or daughters of migrants in Switzerland. We have a very special law: In the seventies when my parents came they were not allowed to bring their family, they were only allowed to work. So many people from Spain and Italy brought their children and hid them. Also I am from this generation of hidden children. Although today I am Swiss and proud to be Swiss, since it’s a big and nice country, we invented the humanitarian law, the red cross and the Geneva Convention. But today like in Austria we have a big increase of the extreme right. So this detention camp is located two kilometres from the red cross. For me it was very important to show this dark side.

MM: I was surprised about the matter of invisibility you mentioned in the beginning. In Austria we feel this very strongly, too. There is a refugee movement, we make a lot of noise, we have a lot of media, and still people do not really see the refugees. I also remember that a friend of mine, a Serbian artist living in Berlin made interviews with people living near a dentention center – a huge building – and asked them: What is this building? And the people interviewed said, oh I don’t know, maybe a hospital? Maybe for criminal cases? It is really surprising how this can be very close to you and you just close your eyes. This is why your movie is so important.

Audience: And are there in Switzerland also camps different from this five-star detention center? I was also amazed about the psychological treatment of the people before they are deported, which is not usual at all in Austria.

FM: In Switzerland you have 28 camps, one per Kanton. Each jail has its own law. For example in Zürich people are totally isolated, they have only one hour or one and half an hour to get out, but they do not see anybody. The guardians do not speak directly to the prisoners, they only speak to them via microphone, and people become totally crazy. Sometimes the electric light is never switched off, people commit suicides often. When there is a special flight, it is always in the middle of the night when the detainees sleep. It is a six-person commando who traps the people, they have to take all their clothes off, they are naked, they are taken to the flight like this. Most of the jails are like this in Switzerland, but it depends. The difference in Geneva: You don’t see women here, because it’s expensive. One day for one detainee costs 500 Euros, you can imagine how much it is for two years. So the idea is that they detain only men, because if it is a family and the father is deported, the whole family will follow. In fact it never happens like that, because he will try to come back as soon as possible. In Switzerland you have 200.000 people working, living, paying taxes, and they don’t have papers. Switzerland needs these people because they are doing the dirty jobs that no Swiss wants to do. It’s a parallel economy. In Switzerland you have bankers and financial places in the very focus today. The Swiss people are good people, very liberal. When they started to critisize the bankers, these started huge campaigns against migrants , and they paid a political party. They represented refugees like animals – rats, crows, black sheep. They bought the most expensive public places for these advertisements and covered Switzerland entirely, and they represented the refugees like criminals and like Jews in Germany with big noses, with claws. People get brainwashed. They vote, and they think that the refugees are the criminals, not the bankers.

MM: Where was your movie shown in Switzerland, and how were the reactions?

FM: About 40.000 people saw the film, which is a success. We had a lot of articles, lots of debates, but nothing changed. In the film we saw a camp for 25 people, and right after the film they started to construct a camp for 250 detainees at the same place. It’s horrible, because it seems that people do not care.

MM: Here in Vienna the refugeecamp movement also had quite good media reactions for a long time. Now it is rather quiet, but if something is going on, media are reporting. So I am wondering if this will slowly change the public opinion or raise awareness at least. But as you said, most people do not care, do not even see the articles in the media. And the other thing we realized here: Even when there was positive media resonance, the legal situation does not change, not even in terms of making an exception here or there. The situation is absurd, it has nothing to do with human rights, with democracy, with the Geneva convention. Do you believe the things will change slowly? What are your expectations?

FM: Europe is in a very deep crisis. It is impossible to be in a deep crisis and to respect human rights. I present this film in lots of schools, with big pedagogical accompaniment. In Switzerland classes in cities are very diverse and multicultural. At first children don’t understand what they see. When we try to explain, they get very upset and say, we don’t accept this. For this I have a little hope for the next generation. But this generation is a generation of disillusion. You have civil movements in many countries in Europe. What happened in Lampedusa? It’s a region controlled by FRONTEX. They know, this boat is going down, they know, the people are drowning, they don’t do anything. Because they are not here to rescue, but to protect, to reject, with the money of the EU. Civil protests like in Vienna make visible that this is not compatible with democracy. So all the new camps will be outside of Europe, paid by the EU, near the border in Mauritania, Ukrainia, Lybia, one in Israel for 14.000 people in the middle of the desert Negev, in part paid by the European Union. The big programme is called the externalisation of the border. People will be deported in these camps, no NGO will be able to enter these camps. Next month I will go to Ukrainia, and they tell me it’s dangerous to go there, because it is under EU law no more. You are in the land of corruption, and it’s obvious, there are lots of articles that say that an agency like FRONTEX is corrupt, that government corrupt, policement corrupt, army in Ukrainia, in Lybia just to have these camps.

MM: Economically migrants and refugees are very important. They are the ones picking our fruit and vegetables in Spain and Italy, and also here in Austria by the way. They are the ones taking care of our elderly or young children. So it is interesting how nationalism and capitalism work together to exploit people to a maximum. They have absolutely no rights and obviously they can not go on strike. So what is the position of the trade unions in Switzerland on migration policies?

FM: Even the left-wing unions feel very uncomfortable, because everytime they say ‚refugees‘, they lose votes. So they are playing in the courtyard of the right-winged, behaving like little white rabbits, not moving, not doing anything. The green party is the one fighting more on issues of migration and refugees. But it’s crazy, because Switzerland is a land with more deaths than births. They have only stones and lakes, nothing else. Every generation of migrants brings the richness of Switzerland. Migrants brought the banks and the watches, new migrants bring new kinds of richness to Switzerland. While the middle class is becoming poor, there is a small upper class becoming incredibly rich by exploiting  and corrupting third world countries like Angola. A Swiss minister went to Angola, because she needed an agreement that allowed her to expel people by special flights to Angola. The Angolan government agreed, but demanded special visa for their ambassador in return. And the Swiss minister agreed. So today Angolan diplomats come to Switzerland to make dirty affairs with Swiss enterprises, and at the same time we expel poor Angolans.

MM: In Austria for quite some time there were no deportations to Pakistans, because Pakistan did not take the people back. But since the refugeecamp movement is mostly consisting of people from Pakistan, there is a new agreement with the Pakistani government, promising more development aid from Austria. And it is said – but we can not prove that – that the development aid is paid in head money per deportation. So it is said that for every refugee Pakistan takes back 7.000 Euro are paid.

Audience: What kind of medication do the detainees get in the case of a forced deportation, and is it injected? And what kind of food do they get in the center? Is the food mixed with bromine?

FM: All the detainees you see in the film are under medication. Every day they see a psychologist, psychiatrist, all of them have health problems. We were not allowed to film the consultations. They have problems because they are doing nothing and they get crazy in jail. In case of a deportation by a special flight they inject tranquilizers without the consent of the detainees, and they sleep during the whole flight. And this is completely forbidden.

Audience: Did you hear from the refugees who were deported in the film? How are they?

FM: I never cut the relations to the refugees, after the time together we became friends. We were afraid of what happened after they were deported. So we keep in touch via phone, and some of them are in desperate situations. The singer Wandifa, the guy from Cameroon really is in danger. He is a refugee who came not for economic reasons, but his family was burnt alive in their house, because his father was a military instructor in the army. By miracle he could flee, leave Cameroon and come to Switzerland. He applied for asylum, but he came to jail, and when he came back to Cameroon he was arrested immediately. He came to jail for six months and was tortured. He was not tortured, because him or his father being an activist, but because he had applied for asylum in Switzerland. The Swiss government had given his file to the Cameroon government, which was clearly a violation of the Geneva Convention. We brought the case back to court, they admitted their fault. But nothing happened. And it was not the first time, they do it a lot, just to give a signal to people coming from Africa. In the country of the Geneva convention people giving away the files of the refugees!

MM: I want to tell a story, too: There is a village in Apulia at the coast which is basically dying out. Refugees came there, and the inhabitants decided that the refugees should stay. The whole village was rebuilt, and now they are working together. Most of the refugees leave again after one or two years, but other ones keep coming. This is an example how it could be. In Austria, too, there are many villages dying out, there’s a lot of free space!

FM: It looks like a desperate situation, but I don’t think it is. We just have to wake up. It does not depend on me and not on you, it depends on us.

Hinweise:
Webseite wie es mit den Protagonisten des Films Ausschaffungsflug weitergegangen ist hier: http://www.volspecial.ch/fr/webdoc/

Der neue Film  von Fernand Melgar L’Abri („The Shelter“) über die katastrophale Situation von obdachlosen Flüchtenden in Lausanne wird am 9. Dezember 2014 im Rahmen von This Human World im Top Kino gezeigt http://www.thishumanworld.com/programm_detail.php?id=145

No borders, no nation!

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