Elisabeth Eidenbenz und die Maternité in Elne

Die Maternité Suisse in Elne, vom nördlich vorbei laufenden Feldweg aus gesehen.
Die Maternité Suisse in Elne, vom nördlich vorbei laufenden Feldweg aus gesehen.

Nachdem die faschistischen Franco-Truppen das republikanische Spanien besiegt hatten und Hitler-Deutschland die jüdische Bevölkerung und Oppositionelle immer stärker verfolgte, wurde Europa zum Ort der größten europäischen Fluchtbewegungen. Menschen in Spanien wurden zur Flucht vor den Faschisten* Richtung Norden gezwungen und aus dem Norden und Osten mussten Menschen vor den deutschen Faschisten* Richtung Frankreich, Spanien, die Niederlande flüchten. Immer in der Hoffnung auf einen sicheren Ort oder auf ein Schiff, das Richtung Übersee ablegen würde.

Azucena Rubio, selbst als Kind von Geflüchteten im Lager von Argelès interniert und nach wie vor aktive libertäre Antifaschistin erzählt die beeindruckende Geschichte von Elisabeth Eidenbenz:

«Ich vermute, oder wenigstens hoffe ich, dass unsere Zukunft mehr in den vergangenen flüchtigen Momenten der Solidarität zu finden sein wird, als in den endlosen Jahrhunderten kriegerischer Auseinandersetzungen.»
Howard Zinn
(A People’s History of the United States, 1980)

Wir befinden uns in der Schweiz, in Wila, das im Kanton Zürich gelegen ist. Dort wurde Elisabeth Eidenbenz am 12. Juni 1913 in eine große Geschwisterzahl hineingeboren, von denen sie das jüngste bleiben sollte. Ihr Vater war Pastor. Sie erhielt eine protestantische Erziehung. Drei Jahre lang arbeitete sie als Grundschullehrerin. Während eines Aufenthalts in Dänemark, wo sie als Erwachsenenbildnerin tätig war, wurde ihr vorgeschlagen, nach Spanien zu gehen. Sie nahm das Angebot an. 1936 kehrte sie in ihren Ferien nicht in die Schweiz zurück, sondern machte sich auf den Weg nach Spanien. Sie engagierte sich in republikanischen Camps, die oft nahe der Frontlinie gelegen waren und verteilte in den dortigen Kantinen Essen an betagte Menschen. In ihrer Freizeit reiste sie kreuz und quer durch Spanien und brachte Fotos zurück, die als einzigartige Zeitdokumente des Spanischen Bürgerkriegs gelten. Am 5. Februar 1939, als die faschistischen Franco-Truppen in Barcelona einmarschierten, verließ sie Spanien in Richtung Schweiz. Sie ging nicht zurück nach Dänemark, sondern folgte einem Ruf von Karl Ketterer von der Schweizer Kinderhilfe, der Unterstützung benötigte für die republikanischen Frauen und Kinder der Retirada, die auf der Flucht vor den Faschisten* waren.

Ohne Ausbildung zur Säuglingsschwester half sie in der Entbindungsklinik von Brouilla (im Département Pyrénées-Orientales) und assistierte bei der Geburt „ihres ersten Babys“.
Das Vom-Zaun-brechen des Zweiten Weltkriegs machte die Schließung dieses Entbindungsheims notwendig, die Frauen wurden auf verschiedene Lager verteilt. Sie gründete die Maternité d’Elne (Pyrénées-Orientales), die am 5. Dezember 1939 eröffnet wurde. Dieses Entbindungsheim war ein Angebot für Frauen, die keiner Nationalität angehörten, weil sie kein zu Hause mehr hatten, wie Elisabeth Eidenbenz einem Journalisten erzählt hatte.

Mehr als 600 Kinder wurden in der Entbindungsklinik Elne zur Welt gebracht. Eine Liste mit ihren Namen.
Mehr als 600 Kinder wurden in der Entbindungsklinik Elne zur Welt gebracht. Eine Liste mit ihren Namen.

In den ersten Monaten wurden Frauen aufgenommen, die in den Lagern Argelès, Saint-Cyprien, Bram interniert gewesen waren. Sie konnten für ungefähr drei Monate in Elne bleiben. Manche, wie zum Beispiel mein Freund Serge Barba [Anm.: Verfasser des Buchs De la Frontière aux Barbelés], wurden hier geboren, andere, bereits Mütter mit sehr kleinen Kindern (wie Maria Vila, die mit ihrem winzigen Toni und uns die Pyrenäen überquerte und nach einem kurzen Erholungsaufenthalt ins Lager Argelès zurückkehren musste), wurden in der Kinderkrippe untergebracht. Hier befanden sich Geflüchtete aus dem Norden von Europa, Jüd_innen, Romni… und klarerweise Frauen aus Spanien. Von 1940 bis 1942 war in Elne sehr viel los (25 Entbindungen pro Tag) und deshalb musste die mögliche Aufenthaltsdauer auf zwei Wochen reduziert werden. Die Besetzung der Zone libre [Anm.: die unter der Herrschaft des rechten Vichy-Regimes stand] führte zu einer Verstärkung der Anstrengungen und am 9. Mai 1943 wurde die Geburt des 500. Kindes gefeiert. Im Internierungslager von Argelès, dessen sanitäre Bedingungen noch schlechter als in den anderen Camps waren, wurde eine Zusatzstation errichtet. Gleichzeitig wurde im Lager Argelès mit der Verteilung von Milchpulver begonnen und Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren wurden drei Mal die Woche mit Kleinigkeiten zum Essen versorgt (ich befand mich ebenfalls unter diesen Kindern). Ostern 1944 wurde das Schloß, das die Maternité beherbergte von nationalsozialistischen Offizieren der deutschen Wehrmacht und Schergen der Gestapo beschlagnahmt. Elisabeth Eidenbenz wurden 72 Stunden zur Evakuierung gegeben. Dramatische Abreise. Ab einem gewissen Punkt mussten die Frauen und Kinder den Zug, der sie nach Montagnac (Aveyron) führte, verlassen und ihren Weg zu Fuß fortsetzen.

Am Ende des Kriegs, Elisabeth befand sich in einem Zustand großer Erschöpfung, kehrte sie in die Schweiz zurück. 2002 erhielt sie die Medaille der Gerechten unter den Völkern. Sie verstarb im Alter von 98 Jahren am 23. Mai in Zürich.

Die Maternité in Elne ist heute ein Ort des lebendigen Gedenkens.“

Dieser Text wurde dem Calendrier du CIRA (Marseille) 2016 entnommen und übersetzt.

 

In einem einsam gelegenen Haus in Izieu im Osten Frankreichs wurden 44 jüdische Kinder versteckt. 42 von ihnen wurden im Nazi-Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Das jüngste Kind war vier Jahre alt.
In einem einsam gelegenen Haus in Izieu im Osten Frankreichs wurden 44 jüdische Kinder versteckt. 42 von ihnen wurden im Nazi-Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Das jüngste Kind war vier Jahre alt.

Die Kinder von Izieu

Ein Stockwerk der Maternité ist dem Kinderlager in Izieu, im Departement Auvergne-Rhône-Alpes, gewidmet. In Izieu wurden 44 jüdische Kinder aus Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich und Algerien versteckt. Am 6. April 1944 wurden sie in einer von Klaus Barbie und mit Beteiligung des im Burgenland geborenen Alois Brunner geleiteten Aktion verhaftet, nach Auschwitz deportiert und 42 von ihnen in den Gaskammern ermordet. Das kleinste Kind war vier Jahre alt. Zwei Betreuer_innen wurden nach Tallinn verschleppt. Dort verliert sich ihre Spur. Am 24. April 1994 wurde vom sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand der Gedenkort Die Kinder von Izieu eröffnet. François Mitterrand war selbst Kollaborateur des antisemitischen Vichy-Regimes, das für zahllose Deportationen in die nationalsozialistischen Vernichtungslager verantwortlich ist.

Der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrance Day) am 27. Januar wurde als „Holocaust-Gedenktag“ im Jahr 2005 von den Vereinten Nationen zum Gedenken an den Holocaust und den 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau eingeführt.

 

Anmerkungen:
Der Erinnerungsort Maternité in Elne vermeidet tunlichst Wertungen als ob Nationalsozialismus, Faschismus keine verbrecherischen Ideologien sind, unterscheidet sich darin aber nicht von anderen von mir besuchten Orten in Frankreich oder Spanien. Warum? Ich erhielt darauf nur sehr ausweichende Antworten. In Katalonien verwiesen Museumsangestellte auf politische Vorgaben.
Eine zeitgemäße feministische Perspektive auf Elternschaft sucht eine_r in der Maternité Elne ebenfalls vergeblich.

Die Maternité liegt einige Kilometer westlich von Elne. Sie kann aber nördlich der stark befahrenen Landstraße über einen kleinen Feldweg erwandert werden.

Links:
Ein Eintrag von Elisbeth Eidenbenz auf wikipedia findet sich hier https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Eidenbenz
Howard Zinn, Wissenschafter und Aktivist https://en.wikipedia.org/wiki/Howard_Zinn verstarb heute vor sieben Jahren.

uebers meer