Das Leben hat keinen Sinn, wenn wir nicht für andere kämpfen

In Erinnerung an Soumaila Sacko, Landarbeiter, Gewerkschaftsaktivist, Refugee.
Ermordet einen Tag nach der rechtsextremen Machtübernahme in Italien. Rest in Power!

Óscar Reina. Aktivist der Arbeiter_innengewerkschaft Andalusiens (Sindicato Andaluz de Trabajadores - SAT)
Óscar Reina. Aktivist der Arbeiter_innengewerkschaft Andalusiens (Sindicato Andaluz de Trabajadores – SAT)

Als wir Óscar Reina treffen, kommt er gerade von einer Besetzung der Biologischen Station im Nationalpark Doñana, wo zwei Genoss_innen gekündigt wurden. „Es hat sich gezeigt, wenn wir Direkte Aktionen durchführen, wenn wir kämpfen, erreichen wir unsere Ziele.“  Denn es sieht danach aus, dass die Compas wieder eingestellt werden, zeigt sich der Generalsekretär der andalusischen Gewerkschaft SAT (Sindicato Andaluz de Trabajadores – Andalusische Arbeiter_innen und Arbeitslosen-Gewerkschaft) zuversichtlich.

Das ist nur ein Beispiel von vielen Kämpfen der SAT, die ursprünglich als eine Gewerkschaft der landlosen Landarbeiter_innen gegründet wurde. Heute kämpfen zwischen 20.000 und 30.000 Aktivist_innen für ein „alternatives Gesellschaftssystem“. Die Überwindung des Kapitalismus mit friedlichen Mitteln, wie Óscar betont, ist nämlich das erklärte Ziel der Gewerkschafter_innen. Spektakuläre Enteignungen von zehn Einkaufswägen mit Schulsachen aus einer Carrefour -Filiale zu Schulbeginn gehören ebenso zum aktionistischen Repertoire wie Landbesetzungen. Die SAT greift damit auf die alte andalusische Tradition der Propaganda der Tat zurück. Denn die SAT erreicht damit viel Zustimmung und steigert ihre Sympathiewerte. Bei den Padrones, den Großgrundbesitzer_innen und der Politik einmal ausgenommen.

Marinaleda ist ein Vorbild

Cerro Libertad (in etwa: „Freiheitshügel“, ein Verweis auf die Kriminalisierung des Syndikalisten Andrés Bódalo) in der andalusischen Provinz Jaén ist so eine Landbesetzung. Die Ländereien des Gutes Cerro Libertad befinden sich im Eigentum der BBVA, der zweitgrößten Bank (und eine der Hauptakteur_innen bei Zwangsräumungen, siehe Links am Beitragsende) im Staat Spanien, und die Felder lagen fünf Jahre lang brach. Das in einer Region, in der viele Tagelöhner_innen nur wenige Monate im Jahr einen bezahlten Job haben, weil vier Prozent der Bevölkerung zwei Drittel des Landes besitzen. „Deswegen wird Cerro Libertad besetzt“, erklärt uns Óscar. „Zweimal schon wurden wir von der Polizei geräumt. Aber wir kehren zurück. Die erfolgreiche Besetzung von Marinaleda ist unser Vorbild.“

Wegsperre zur Landbesetzung Cerro Libertad Foto: SAT
Wegsperre zur Landbesetzung Cerro Libertad Foto: SAT

Die Finca Somonte ist ein anderes Beispiel einer Landbesetzung. Die Ländereien sind öffentliches Eigentum und gehören der Provinz Andalusien. Somonte wird seit gut sechs Jahren besetzt, und 400 Hektar Ackerland werden bebaut. Sechs Mal wurde von der Polizei brutal geräumt und sieben Mal wurde besetzt. Auch die Versuche der sozialistischen Regionalregierung, die Squatter_innen zu kriminalisieren, schlugen fehl. Alle bislang geführten Prozesse endeten mit Freisprüchen.

Antikapitalismus und Antirassismus

„Wir setzen uns ein für eine Revolution der Produktionsbedingungen. Andalusien ist ein reiches Land, dessen Reichtum schlecht verwaltet wird. Grund und Boden sollen im Besitz der Allgemeinheit sein und von Arbeiter_innen-Kollektiven verwaltet werden“, legt Óscar Reina die Programmatik der SAT dar und knüpft damit ideell an die Zeit der anarchistischen Republik ab 1936 an. „Unsere ideologischen Strömungen sind der Anarchismus, der Kommunismus, der Maoismus, der andalusische Nationalismus und die christlichen Basisgemeinden. Diese ideologische Pluralität ist notwendig, um das bürgerliche Regime von 1978, den Franquismus und die Monarchie zu stürzen. Wir stehen für Emanzipation und Freiheit der Menschen und für den Respekt gegenüber unserer Umwelt.“ Óscar betont aber auch „die Notwendigkeit, diese Kämpfe nach außen zu tragen, sie außerhalb Andalusiens und gemeinsam zu führen, mit dem Ziel, das wilde kapitalistische System zu beseitigen. In diesem Kampf befinden wir uns“.

Arbeitskampf und Bewusstsein

Die Position der SAT ist nicht nur klar antikapitalistisch. Solidarität, feministische und antirassistische Arbeit sind für die Aktivist_innen der SAT keine Angelegenheit von ideologischer Interpretation und nationalistischen Abwägungen, sondern täglich gelebte Praxis: „Wenn die Situation in Andalusien ohnehin schon prekär genug ist, so ist sie für Migrant_innen in Almeria oder auf den Erdbeerfeldern um Huelva noch prekärer. Auch Dank der Unterstützung aus anderen Ländern kann hier der Kampf organisiert werden. Der rassistischen Erzählung, dass uns Migrant_innen die Arbeitsplätze wegnehmen, setzen wir Bewusstseinsarbeit entgegen. Das System versucht uns ständig zu spalten. Für eine_n Arbeiter_in ist es egal, wo er_sie geboren ist, weil wir Arbeiter_innenklasse sind. Der Feind der Arbeiter_innen ist der Padron, der große Unternehmer. Wer der Feind ist, wird den Arbeiter_innen dann klar, wenn sie sich im Arbeitskampf befinden. Aus diesem Grund arbeiten wir mit der Organisation gegen Rassismus in Lavapiés (Madrid) und in diesen Zusammenhängen auch mit der Antifa zusammen. Diese Bewusstseinsarbeit ist ein laufender Prozess. Das Leben hat keinen Sinn, wenn wir nicht für andere Personen kämpfen. Deswegen macht diese Arbeit auch Sinn.“

Kampagne Erdbeeren ja, aber mit Rechten. 17.000 Frauen, vorwiegend aus dem Staat Marokko, arbeiten unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Erdbeer-Plantagen bei Huelva (Andalusien).
Kampagne Erdbeeren ja, aber mit Rechten. 17.000 Frauen, vorwiegend aus dem Staat Marokko, arbeiten unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Erdbeer-Plantagen bei Huelva (Andalusien).


Und so verwundert es auch nicht, dass sich die SAT mit den anarchistischen Gefangenen der so genannten Operation Pandora (Erklärung dazu ebenfalls am Ende des Beitrags), die für ihn eine durchsichtige Konstruktion der Repressionsbehörden darstellt, solidarisch erklärt: „Wir sind mit allen solidarisch, die gegen das System und gegen den Staat kämpfen, ob Anarchas oder nicht.“

2018 legt die SAT einen neuen Tätigkeitsschwerpunkt auf Hotelerie und Gastronomie. Den Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen in den wichtigen Tourismusbetrieben kündigen die Syndikalist_innen einen entschlossenen Kampf an. Der Staat Spanien nimmt die Aktionen sehr ernst und stellte schon erste Haftbefehle aus.

400 Jahre Knast und die Überwindung der Angst

„Eine Alternative zum bestehenden System zu sein, wird vom Staat verfolgt. Wir sind nicht nur eine Gewerkschaft, sondern auch soziale Aktivist_innen und eine soziale Bewegung.“ Die staatlichen Strafen für diesen Aktivismus sind lang, hoch und existenzgefährdend. Aufsummiert drohen verhängte Freiheitsstrafen von 400 Jahren und bedrohliche Geldstrafen von 700.000 Euro. Die Aktivist_innen der SAT haben daraus ihre Schlüsse gezogen und erscheinen nicht mehr zu angeordneten Einvernahmen oder Prozessterminen: „Wenn sie mich wollen, müssen sie mich holen. Der Kampf wird dann auf der Straße geführt werden.“ Dabei hilft den verfolgten Syndikalist_innen ein landesweites und globales Netzwerk, und: „Das wichtigste ist nicht nur die politische Überzeugung zu haben, sondern vor allem der menschliche Wille, die Dinge zu verändern. Das heißt die Angst überwinden zu können, um in der Lage zu sein, für andere zu kämpfen. Das ist schwierig, weil du die erste Person sein wirst, die es trifft, aber die letzte, die aus dieser Auseinandersetzung mit Stärke heraus geht.“

Graffiti in Marinaleda (Andalusien) - das in sinngemäß "Freiheit für Gewissensgefangene" fordert. Oder Freiheit für Gefangene, die wegen ihrer Kämpfe im Knast sitzen.
Graffiti in Marinaleda (Andalusien) – das in sinngemäß „Freiheit für Gewissensgefangene“ fordert. Oder Freiheit für Gefangene, die wegen ihrer Kämpfe im Knast sitzen.

Solidarität mit Óscar Reina und anderen politisch verfolgten Gewerkschafter_innen

Óscar selbst wird von der Militärpolizei Guardia Civil gesucht. „Selbstverständlich wissen sie, wo ich bin. Ich verstecke mich auch nicht. Aber anscheinend interessieren sie sich zur Zeit nicht für mich.“ Das hat sich letzte Woche geändert. Auf Twitter schrieb Óscar darüber, dass die spanische Monarchie ihre Wurzeln im franquistischen Faschismus hat. Historisch gesehen hat er recht, verboten sind solche Darstellungen im Staat Spanien trotzdem.
Im postfranquistischen Spanien werden unschöne Tatsachenbehauptungen die Monarchie betreffend schnell zu einer Beleidigung der Krone. Óscar wurde deshalb von der Polizei überfallen und eingesperrt. Inzwischen befindet er sich wieder in Freiheit. Die derzeit laufende SAT-Kampagne Erdbeeren ja, aber mit Rechten konnte durch diese Freiheitsberaubung jedoch nicht gestoppt werden. Die politische Verfolgung von Syndikalist_innen mit juristischen Mitteln ist deswegen noch lange nicht zu Ende.

Unsere Solidarität gegen ihre Repression.

Links und Anmerkungen:

Wie die Kämpfe der SAT unterstützt werden können:

Die Kontonummer der Solikassa für die bislang 637 Repressionsbetroffenen in der elfjährigen Gewerkschaftsgeschichte gibts im Webshop der SAT: http://tiendasat.org/index.php?id_product=109&controller=product&id_lang=1

Wer lokale SAT-Gruppen in den sozialen Medien supporten möchte, auf der Homepage der Sindicato Andaluz de Trabajadores findet ihr den Kontakt zu allen Organisationen http://sindicatoandaluz.info/contacto/

Óscars Username auf twitter: @OscarReinaGilen

Zur Kampagne Fresas si, pero con derechos:

Die Tagelöhnerinnen auf den Erdbeer-Plantagen sind ständiger sexualisierter Gewalt und verbalen Beschimpfungen ausgesetzt. Ihre Arbeits- und Lebensbedingungen direkt auf den Erdbeerfeldern sind unbeschreiblich. Wenn überhaupt, wird den Tagelöhnerinnen für diese körperlich anstrengende Arbeit 37 Euro am Tag bezahlt. Ziel dieser SAT-Kampagne ist es, Instrumentarien und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, die die Verletzbarkeit der Frauen beenden. Am 17. Juni startete die Kampagne mit einer Frauen-Demo für die auch die Asamblea Feminista Las 3 rosas, Mujeres24H, das Café Feminista, die CNT-Andalucía und die CGT-Andalucía mobilisierten. Zusammenfassende Demo-Bericht findet ihr hier http://www.pikaramagazine.com/2018/06/jornalera-hermana-a-ti-tambien-te-creo/ und hier https://www.elsaltodiario.com/explotacion-laboral/fresas-si-pero-con-derechos-el-grito-de-las-mujeres-de-la-fresa-recorre-huelva

Zur BBVA und Zwangsräumungen:

Spanischer Wikipedia-Eintrag zur Plattform der Hypothekengeschädigten mit vielen Fotos zu Protesten vor BBVA-Filialen https://es.wikipedia.org/wiki/Plataforma_de_Afectados_por_la_Hipoteca

Zur sogenannten Operation Pandora:

Unter der originellen Bezeichnung Operation Pandora führten Polizeien des Staates Überfälle auf selbstorganisierte, anarchistische, antiautoritäre und autonome Strukturen durch. Rückblickend betrachtet fallen diese Polizeiattacken mit dem Ende der mehrere Jahre anhaltenden Austeritätsproteste der 15-M-Bewegung  zusammen. Sie können als eine Episode eines gesamten Masterplans zur Unterdrückung, der in der Zeit des Franquismus, des spanischen Faschismus zwischen 1939 und 1978, entwickelt und perfektioniert wurde, betrachtet werden. Als Hebel diente das so genannte Gesetz zum Schutz der Bürger. Dieses Gesetz stellt beispielsweise die Veröffentlichung von Fotos, die Polizeibrutalität oder falsch abgestellte Polizeiwägen zeigen, unter ruinös hohe Strafen. Bekannter ist es deshalb unter der treffendenden Bezeichnung Knebelgesetz, Ley Mordaza, das die unabhängige Berichterstattung über staatliche Gewaltausübung verhindern soll. Nicht wenige waren und sind der Meinung, dass nach dem Abhandenkommen der baskischen ETA als Bedrohungsszenario ein neues konstruiert werden musste, um die Menschen für zusätzliche Techniken der Unterdrückung anschlussfähig zu machen. Berichte zur so genannten Operation Pandora aus 2014 https://en.squat.net/2014/12/16/cops-arrest-11-raid-anarchist-social-centres-16-solidarity-demos-already und der  – noch kreativer – so genannten Operation Piñata 2015 https://en.squat.net/2015/03/30/barcelonagranadamadridpalencia-police-pinata-raids Zu den Folgen: https://efectopandora.wordpress.com/

Das Gespräch mit Óscar Reina fand im Rahmen der Leser_innenreisen WOZ unterwegs der Zürcher Wochenzeitung in ein „Kämpferisches Andalusien“ statt.

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